Die Shakespeare-Morde
sich?«,
fragte Sir Henry.
Erstaunt brach der Küster
ab. »Bewegt sich was, Sir?«
»Die Statue.«
»Sir, die Statue ist
aus Marmor. Wie sollte sie sich bewegen?«
»Das haben Sie gesagt.«
Der Küster runzelte die
Stirn. »Warum sollte ich so was sagen?«
»Keine Ahnung«,
knurrte Sir Henry. »Sagen Sie uns einfach, wohin unser Freund sonst
noch zeigt, außer auf ›Tempel‹, wenn er sich bewegt.«
»Aber er bewegt sich
nicht, Sir. Vielleicht bewegt sich die andere Statue. Aber wenn Sie sich für
Tempel interessieren, kann ich Ihnen die Tempelkirche empfehlen, den Inner
Temple und den Middle Temple« -er zählte an den Fingern mit -
»und natürlich den Temple Bar, wobei sie den in die Paternoster
Row verpflanzt haben. Dann gibt es noch die Freimaurertempel…«
Ich unterbrach ihn. »Welche
andere Statue?«
Er runzelte die Stirn.
»Es gibt nur eine. Im Haus der Unverbesserlichen.«
»Bitte wo?« Sir
Henry war kurz vor dem Explodieren.
Der Küster räusperte
sich, dann zitierte er: »Dem edelsten und unverbesserlichen Brüderpaar
William, Graf von Pembroke, et cetera, und Philip, Graf von Montgomery, et
cetera.« Er blinzelte uns gutmütig und zufrieden an. »Die
Brüder, die die ersten Seiten von Mr Shakespeares First Folio
attackieren. Der Graf von Pembroke - natürlich ein viel späterer
-hat sich eine Kopie der Statue für seinen Landsitz anfertigen
lassen.«
Hinter ihm schwoll der Chor
zum Nunc dimittis an: Nun lässt du, Herr, deinen Knecht in Frieden
scheiden.
Sir Henry packte den Küster
und küsste ihn auf beide Wangen. »›Unvergleichlich‹,
Sie unverbesserlicher Dummkopf«, jubelte er. »Dem
Unvergleichlichen Brüderpaar.« In der Gemeinde drehten sich
mehrere Köpfe zu uns um, doch Sir Henry ignorierte sie und tanzte um
den Küster herum. »Sie attackieren die ersten Seiten nicht,
mein Lieber. Sie dekorieren sie.«
Als er den Küster
endlich losließ, zerrte Sir Henry Ben und mich hinter sich her.
»Wohin zeigt Pembrokes Statue?«, fragte er über die
Schulter.
Im Schatten der Grabmäler
wurde der Küster rot. »Ich weiß es nicht, Sir. Ich habe
sie nie gesehen.« Er zog einen zusammengefalteten Zettel aus der
Tasche. »Aber ich hätte hier eine Kopie von meinem Gedicht…«
Doch Sir Henry rauschte
bereits davon. Als wir durch das Hauptschiff liefen, schwoll die Musik
wieder an und hüllte uns mit ihren mächtigen Klängen ein.
Draußen rannten wir die Stufen hinunter auf den Wagen zu.
»Wilton House, Barnes«,
verlangte Sir Henry. »Zum Sitz der Grafen Pembroke.«
»Das war zu einfach«,
sagte Ben nachdenklich, als der Wagen anfuhr.
»Was haben Sie
erwartet?«, gab Sir Henry zurück. »Die Palastwache oder
die Beefeater?«
»Poets’ Corner
ist ein offensichtliches Anschlagsziel. Sie hätten jemanden zur
Bewachung abstellen müssen.«
»Haben sie aber nicht«,
sagte Sir Henry. »Seien Sie froh. Vielleicht denkt Inspector
Grimmiger, dass der Mörder nur an Büchern interessiert ist.
Vielleicht denkt er, da Shakespeare nicht zu Haus ist, wie unser Freund es
ausdrückt, zählt Westminster Abbey nicht. Vielleicht hat sein
Vorgesetzter ihm kein grünes Licht gegeben.«
»Oder es war doch
jemand da, der uns jetzt auf der Spur ist«, sagte Ben.
Ich drehte mich um. Die Türme
der Kirche waren noch in Sicht. »Hast du jemanden gesehen?«
»Noch nicht«,
antwortete er.
31
Als wir den Londoner
Stadtverkehr hinter uns gelassen hatten und in Richtung der kleinen Stadt
Salisbury mit der großen Kathedrale fuhren, hatte Ben noch immer
nichts Verdächtiges gesehen. Ich schlug mein Faksimile der First
Folio Edition auf. Die Widmung kam direkt nach Shakespeares Porträt:
DEM EDELSTEN
UND
UNVERGLEICHLICHEN
BRÜDERPAAR
»Die Unvergleichlichen«,
sagte Sir Henry genüsslich.
»Klingt wie Superhelden
aus einem Comic«, bemerkte ich.
William Herbert Graf von
Pembroke und sein Bruder Philip Graf von Montgomery - »Will und Phil«,
wie Ben zusammenfasste - waren zwei der großen Peers im jakobäischen
England gewesen. Väterlicherseits stammten sie von einem der
erfolgreichsten Häuser der neureichen Tudor-Aristokratie ab. Die
Familie hatte ihren Aufstieg erst zwei Generationen zuvor begonnen, als
Heinrich VIII. seine Sympathie für William Herbert bekundete, den Großvater
der Brüder, einen herzhaften, temperamentvollen Waliser, der mit der
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