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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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zu
     den Unvergleichlichen bringt.« Will und Phil, dachte ich: William
     Graf von Pembroke und sein Bruder Philip, der Graf von Montgomery, der die
     Tochter des Grafen von Oxford heiratete und sowohl den Pembroke-Titel als
     auch Wilton House erbte. Derselbe Philip, der den Saal bauen ließ,
     in dem wir die Briefe fanden -und derselbe Philip, der auf dem Gemälde
     in der Eingangshalle von Wilton House über Shakespeare Wache hielt.
    Mrs Quigley hatte er nicht
     helfen können. Wieder sah ich ihr aufgedunsenes Gesicht vor mir.
    Sir Henry beugte sich mit
     gesträubten Brauen über die Briefe. Er stach mit dem Zeigefinger
     nach dem Blatt. »Der Verfasser weiß, dass Ben Jonson seine
     eigene Gesamtausgabe editierte. Jonsons Werke kamen 1616 heraus, im
     gleichen Jahr, als Shakespeare starb. Also ist es immer noch möglich,
     dass dieser Will hier Shakespeare aus Stratford ist«, sagte Sir
     Henry. »Wenn er den Brief in seinem letzten Lebensjahr geschrieben
     hat.«
    Ich schüttelte den Kopf.
     »Nicht wenn der ›süße Schwan‹ Mary Sidney
     ist.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil ein bürgerlicher
     Stückeschreiber, egal wie berühmt er war, niemals einen so
     vertraulichen Brief an eine Gräfin schreiben könnte, in einer
     Zeit, in der der Rang - und Rangunterschiede - noch überaus ernst
     genommen wurden. Schauspieler und Stückeschreiber waren gerade mal
     eine Stufe über Kupplern und Hökern. Doch alles deutet darauf
     hin, dass der Will aus diesem Brief dem süßen Schwan ebenbürtig
     ist. Ein Bürgerlicher würde einen solchen Brief sehr, sehr
     unterwürfig beginnen, vor allem, wenn er der Dame, der er schreibt,
     etwas schuldig ist: ›Der hochwohlgeborenen und verehrten Dame, Gräfin
     von Pembroke, dem süßesten Schwan …‹ oder etwas
     in der Art.« Ich biss mir auf die Lippe.
    »Selbst die
     Unterschrift in der Mitte der Seite ist falsch. Anstandshalber müsste
     ein Bürgerlicher, der einer Gräfin schreibt, seinen Namen so
     weit wie möglich rechts unten in die Ecke quetschen. Mir gefällt
     die Sache genauso wenig wie dir, Sir Henry. Aber wenn der süße
     Schwan Lady Pembroke ist, dann kann Will nicht William Shakespeare, der Stückeschreiber
     aus Stratford, sein.«
    »Wer ist er dann?«,
     fragte er.
    »Das schimärische
     Tier?«, fragte Ben mit einem Blick an die Decke.
    Ich sah in den Brief. Vnser
     chimärisches Thier, stand dort. Etwas von den Wolkenschlößern
     - oder wie Ihr sie zu nennen pflegt, vom Tand vnd Spielwerck -, die unser
     chimärisches Thier einst herauffbeschworen …
    Sir Henry ließ das
     Taschentuch sinken. »Ihr wollt also sagen«, sagte er finster,
     »dass Shakespeare das Produkt von vierhundert Jahren überaktiver
     Fantasie ist?«
    Ich runzelte die Stirn. Im
     abstrakten Sinn bedeutete Schimäre Hirngespinst oder Trugbild. Doch
     in der griechischen Mythologie war die Chimaira ein durchaus konkretes
     Geschöpf, ein mythisches feuerspuckendes Monster, das aus
     verschiedenen Teilen zusammengesetzt war: dem Kopf eines Löwen, dem
     Rumpf einer Ziege und dem Schwanz eines Drachen. In dem Brief war ein
     Schwan erwähnt, und auch mit dem Keiler und dem Eber waren wohl
     Personen gemeint. Vielleicht war die Schimäre eine Gruppe von Leuten
     - ein kollektives Tier aus vielen Teilen.
    »So ein Quatsch!«,
     schnaubte Sir Henry.
    »Es muss nicht heißen,
     dass die Schimäre Shakespeare ist - oder Shakespeare die Schimäre.«
    »Aber in dem verdammten
     Brief geht es um Shakespeare«, knurrte er. »Du hast es selbst
     gesagt.«
    Ich schüttelte den Kopf
     und versuchte zu erklären, was ich meinte. Vielleicht war die Schimäre
     eine Gruppe von Wohltätern, die Shakespeares ›Spielwerck‹
     heraufbeschworen hatten, indem sie die Stücke in Auftrag gaben - und
     sie für gut genug hielten, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Wenn
     man die Schimäre als Gruppe von Menschen verstand, ließ sich
     wenigstens ein Zusammenhang mit dem Schwan, dem Keiler und dem Eber
     herstellen. Die fleißige Ameise nicht zu vergessen.
    »Wenn Mary Sidney der
     Schwan ist, wer sind dann der Keiler und der Eber?«, fragte Ben.
    Ich sah Sir Henry wachsam an.
     »Der Graf von Oxford hatte ein blaues Wildschwein auf seinem Wappen.«
    »Ach du liebe Zeit«,
     stöhnte Sir Henry und warf sich in den Sitz zurück.
    Ben ignorierte ihn. »Und
     der war 1616 tot, also konnte er nicht mehr wühlen. Das gefällt
     mir.«
    »Bleibt der Eber«,
     knurrte Sir Henry. »›Du Missgeburt voll Maler,

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