Die Shakespeare-Morde
zu
den Unvergleichlichen bringt.« Will und Phil, dachte ich: William
Graf von Pembroke und sein Bruder Philip, der Graf von Montgomery, der die
Tochter des Grafen von Oxford heiratete und sowohl den Pembroke-Titel als
auch Wilton House erbte. Derselbe Philip, der den Saal bauen ließ,
in dem wir die Briefe fanden -und derselbe Philip, der auf dem Gemälde
in der Eingangshalle von Wilton House über Shakespeare Wache hielt.
Mrs Quigley hatte er nicht
helfen können. Wieder sah ich ihr aufgedunsenes Gesicht vor mir.
Sir Henry beugte sich mit
gesträubten Brauen über die Briefe. Er stach mit dem Zeigefinger
nach dem Blatt. »Der Verfasser weiß, dass Ben Jonson seine
eigene Gesamtausgabe editierte. Jonsons Werke kamen 1616 heraus, im
gleichen Jahr, als Shakespeare starb. Also ist es immer noch möglich,
dass dieser Will hier Shakespeare aus Stratford ist«, sagte Sir
Henry. »Wenn er den Brief in seinem letzten Lebensjahr geschrieben
hat.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nicht wenn der ›süße Schwan‹ Mary Sidney
ist.«
»Wieso nicht?«
»Weil ein bürgerlicher
Stückeschreiber, egal wie berühmt er war, niemals einen so
vertraulichen Brief an eine Gräfin schreiben könnte, in einer
Zeit, in der der Rang - und Rangunterschiede - noch überaus ernst
genommen wurden. Schauspieler und Stückeschreiber waren gerade mal
eine Stufe über Kupplern und Hökern. Doch alles deutet darauf
hin, dass der Will aus diesem Brief dem süßen Schwan ebenbürtig
ist. Ein Bürgerlicher würde einen solchen Brief sehr, sehr
unterwürfig beginnen, vor allem, wenn er der Dame, der er schreibt,
etwas schuldig ist: ›Der hochwohlgeborenen und verehrten Dame, Gräfin
von Pembroke, dem süßesten Schwan …‹ oder etwas
in der Art.« Ich biss mir auf die Lippe.
»Selbst die
Unterschrift in der Mitte der Seite ist falsch. Anstandshalber müsste
ein Bürgerlicher, der einer Gräfin schreibt, seinen Namen so
weit wie möglich rechts unten in die Ecke quetschen. Mir gefällt
die Sache genauso wenig wie dir, Sir Henry. Aber wenn der süße
Schwan Lady Pembroke ist, dann kann Will nicht William Shakespeare, der Stückeschreiber
aus Stratford, sein.«
»Wer ist er dann?«,
fragte er.
»Das schimärische
Tier?«, fragte Ben mit einem Blick an die Decke.
Ich sah in den Brief. Vnser
chimärisches Thier, stand dort. Etwas von den Wolkenschlößern
- oder wie Ihr sie zu nennen pflegt, vom Tand vnd Spielwerck -, die unser
chimärisches Thier einst herauffbeschworen …
Sir Henry ließ das
Taschentuch sinken. »Ihr wollt also sagen«, sagte er finster,
»dass Shakespeare das Produkt von vierhundert Jahren überaktiver
Fantasie ist?«
Ich runzelte die Stirn. Im
abstrakten Sinn bedeutete Schimäre Hirngespinst oder Trugbild. Doch
in der griechischen Mythologie war die Chimaira ein durchaus konkretes
Geschöpf, ein mythisches feuerspuckendes Monster, das aus
verschiedenen Teilen zusammengesetzt war: dem Kopf eines Löwen, dem
Rumpf einer Ziege und dem Schwanz eines Drachen. In dem Brief war ein
Schwan erwähnt, und auch mit dem Keiler und dem Eber waren wohl
Personen gemeint. Vielleicht war die Schimäre eine Gruppe von Leuten
- ein kollektives Tier aus vielen Teilen.
»So ein Quatsch!«,
schnaubte Sir Henry.
»Es muss nicht heißen,
dass die Schimäre Shakespeare ist - oder Shakespeare die Schimäre.«
»Aber in dem verdammten
Brief geht es um Shakespeare«, knurrte er. »Du hast es selbst
gesagt.«
Ich schüttelte den Kopf
und versuchte zu erklären, was ich meinte. Vielleicht war die Schimäre
eine Gruppe von Wohltätern, die Shakespeares ›Spielwerck‹
heraufbeschworen hatten, indem sie die Stücke in Auftrag gaben - und
sie für gut genug hielten, sie vor dem Vergessen zu bewahren. Wenn
man die Schimäre als Gruppe von Menschen verstand, ließ sich
wenigstens ein Zusammenhang mit dem Schwan, dem Keiler und dem Eber
herstellen. Die fleißige Ameise nicht zu vergessen.
»Wenn Mary Sidney der
Schwan ist, wer sind dann der Keiler und der Eber?«, fragte Ben.
Ich sah Sir Henry wachsam an.
»Der Graf von Oxford hatte ein blaues Wildschwein auf seinem Wappen.«
»Ach du liebe Zeit«,
stöhnte Sir Henry und warf sich in den Sitz zurück.
Ben ignorierte ihn. »Und
der war 1616 tot, also konnte er nicht mehr wühlen. Das gefällt
mir.«
»Bleibt der Eber«,
knurrte Sir Henry. »›Du Missgeburt voll Maler,
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