Die Shakespeare-Morde
Attentate gegen die protestantischen
Herrscher auszuhecken, weil sie sich mit Gewalt nehmen wollten, was sie
durch Überredungskünste nicht erlangen konnten. In England hielt
man das Kollegium für so etwas wie ein Trainingscamp für religiöse
Terroristen.«
»Aber was hat das mit
St. Alban zu tun?«
»Der volle Name lautet:
Royal English College of St. Alban.«
Einen Moment herrschte
Schweigen. Ich griff nach dem Telefon und stellte den Lautsprecher ab.
»Ich schulde dir was, Matthew.«
Er schwieg. Dann sagte er
leise: »Du weißt, was ich will.«
»Ja«, sagte ich.
Gib mir eine Chance, hatte er gesagt. »Gott weiß, du hast es
verdient.« Dann legte ich auf.
Ich warf Ben das Handy zu,
der sich auf dem Bett ausgestreckt hatte und mit einem irritierend
wissenden Lächeln an die Decke starrte.
»Glaubst du, das ist
es?«, fragte Sir Henry. »Valladolid? Ist das nicht ein
bisschen weit hergeholt?«
Als ich mich an den
Schreibtisch setzte, war ich plötzlich furchtbar müde. »Es
gibt noch andere Verbindungen vom Royal English College zu Shakespeare.
Zwei. Wollt ihr zuerst die plausible oder die unplausible hören?«
»Ich bin dafür,
dass wir uns von der verrückten zur vernünftigen Vorarbeiten«,
sagte Ben und faltete die Hände hinter dem Kopf.
»Christopher Marlowe.«
Ich strich durch mein zu kurzes Haar. »Gottlos, schwul, gefeiert -
das Enfant terrible des elisabethanischen England. Liebling der Bühne
- bis Shakespeare auftaucht.«
»Und er bei einer
Kneipenprügelei stirbt, als ihm jemand einen Dolch ins rechte Auge stößt«,
sagte Ben.
Ich nickte. »1595, als
gerade Shakespeares Blütezeit beginnt. Ja, genau der Marlowe. Wobei
es vielleicht nicht bloß eine zufällige Kneipenprügelei
war - denn Marlowe arbeitete außerdem als Spion der Krone. Unter
anderem wurde er mit dem Auftrag nach Holland geschickt, eine Gruppe
englischer Exil-Katholiken zu infiltrieren, die unter dem Verdacht
standen, eine Revolte zu planen. Schlüssige Beweise sprechen dafür,
dass seine Saufkumpane ebenfalls Spione waren und dass die Kneipe als
sicherer Unterschlupf galt.«
»Nicht sicher für
Marlowe«, stellte Ben fest.
Ich legte die Füße
auf den Tisch. »Weniger schlüssige Beweise sprechen dafür,
dass er nicht an jenem Abend starb. Er entkam - oder wurde ins Ausland
geschickt. Nach Spanien.«
»Pah!«, rief Sir
Henry aus seinem Sessel.
Ben wurde leiser. »Nach
Valladolid?«
Ich nickte. »Im Jahr
1599 ist im Register des Kollegs die Ankunft eines Mannes namens John
Matthews oder Christopher Morley verzeichnet … Morley ist eine
Variante von Marlowe, die der Dramatiker gelegentlich verwendete, und John
Matthews war ein verbreiteter, wenn auch kein origineller priesterlicher
Deckname - nach den Evangelisten Johannes und Matthäus.« Ich
schüttelte den Kopf. »Wer er auch war, der Mann wurde 1603 zum
Priester ordiniert und kehrte nach England zurück, wo man ihn fasste
und ins Gefängnis sperrte. Das Seltsame ist, dass in einer Zeit, in
der die Gefangenen für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen
mussten, wenn sie nicht hungers verrecken wollten, ausgerechnet Robert
Cecil, einer der höchsten Minister des Königs, Morleys
Rechnungen bezahlte. Woraus man schließen könnte, dass Morley für
die Regierung arbeitete.
Am einfachsten ließe
sich der Morley aus Valladolid erklären, indem man sagt, beide Namen
waren Decknamen - der eine aus den Evangelien, der andere von einem Toten
geborgt -, möglicherweise, weil der Priester ein englischer Spion
war.«
»Die gerade Linie
zwischen zwei Punkten«, sagte Ben. »Und was wäre die -
wie hast du zu Athenaide gesagt? - die windige Spritztour eines …«
»Eines betrunkenen
Junikäfers«, vervollständigte ich. »Es gibt Leute,
die glauben, der Grund, weshalb sich nicht beweisen lässt, dass
Shakespeare vor 1593 etwas geschrieben hatte, sei der, dass er bis 1593
unter seinem richtigen Namen schrieb: Christopher Marlowe.«
Mit einem verächtlichen
Schnauben sprang Sir Henry aus dem Sessel und drehte eine Runde durchs
Zimmer.
»Ich habe ja gesagt,
dass es verrückt ist«, sagte ich. »In diesem Szenario wäre
Teil der Abmachung, dass Cecil nach Marlowes Verschwinden dafür
sorgt, dass seine Stücke in London weiterhin aufgeführt werden.«
»Also geht ›Shakespeare‹
nach Valladolid.« Während wir sprachen, surfte Ben mit
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