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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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wühlend
     Schweim. Welcher von Elisabeths pfauenstolzen Höflingen würde
     sich freiwillig mit dem unrühmlichen Sinnbild des buckligen Richard
     III. betiteln lassen? Des Urvaters von ›Tricky Dick‹ Nixon?«
    »Versprich mir, dass du
     nicht explodierst«, sagte ich.
    »Ich verspreche gar
     nichts.«
    Ich seufzte. »Bacon.«
    »Sir Francis Bacon«,
     ächzte Sir Henry.
    Ben lachte, dann räusperte
     er sich verlegen.
    »Ursprünglich
     hatten auch die Bacons ein Wildschwein zum Wappentier«, erklärte
     ich. »Aber die Familie ist einer Menge übler Scherze
     zuvorgekommen, indem sie das Wappentier selbst zum Eber umdeutete. Es gibt
     die Anekdote von Francis Bacons Vater, einem Richter, der so dick wie ein
     Fass war: Einmal sprach ihn vor Gericht ein Angeklagter an, der wegen
     seines Nachnamens - Swine - behauptete, mit Bacon verwandt zu sein.
     ›Du und ich sind erst verwandt, wenn man dich aufhängt‹,
     konterte der alte Richter, ›denn aus der Schwarte wird erst Speck,
     wenn sie tüchtig abgehangen ist.‹« Ich wagte nicht, Ben
     anzusehen, doch ich spürte, dass er sich das Lachen verkneifen
     musste. »Und Shakespeare hat den Scherz aufgegriffen.«
    »In den ›Lustigen
     Weibern von Windsor‹«, seufzte Sir Henry. »Frau Hurtig
     denkt, ›Hängebauchschwein‹ wäre ein anderes Wort für
     Bacon.«
    Jetzt prustete Ben los.
    Sir Henry ignorierte ihn.
     »Aber wo führt uns die Schimäre hin? Anscheinend soll
     dieser Will - wer immer er ist - an St. Alban schreiben.«
    »Und wieder Bacon«,
     überlegte ich. »Zu Beginn des Jahres 1621 ernannte Jakob I.
     Francis Bacon zum Viscount von St. Alban.«
    Ben hörte auf zu lachen.
    Sir Henry beugte sich vor.
     »Also ist Bacon der Einzige, den der Schwan noch betören muss,
     und Will verspricht ihm, ihm selbst zu schreiben.«
    Ich nickte.
    »Wo lebte Bacon?«
    »Auf einem Landsitz
     namens Gorhambury. Vor den Toren von St. Albans.«
    »Barnes«, sagte
     Sir Henry leise. »Fahren Sie nach St. Albans.«
    »So leicht ist es nicht«,
     wandte ich ungeduldig ein. »Gorhambury -ein Fantasiepalast, den
     Bacon selbst entworfen hatte - stand schon fünfzig Jahre nach Bacons
     Tod in Ruinen.«
    »Aber es muss doch
     etwas übrig sein«, beharrte Sir Henry.
    Ich trommelte mit den Fingern
     auf die Knie. »Es gibt eine Statue in der Gemeindekirche in St.
     Albans, die der Shakespeare-Statue in Westminster ähnelt. Aber die
     wird seit hundertfünfzig Jahren von Bacon-Jüngern unter die Lupe
     genommen.«
    »Also ein
     unwahrscheinlicher Ort für ein Versteck.«
    Ben nahm mir den Brief ab.
     »Aber wenn Will selbst an St. Alban schreibt«, sagte er,
     »warum bittet er den Schwan, den Eber zu bezirzen?« Er sah
     auf. »Das spricht doch eher dafür, dass St. Alban und der Eber
     zwei verschiedene Leute sind.«
    Wir beugten uns über den
     Brief. Er hatte recht.
    »Gibt es vielleicht
     noch einen schaurigen Eber?«, fragte Sir Henry.
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Und wo fahren wir
     jetzt hin?«, fragte Ben.
    »Irgendwohin, wo ich
     nachdenken kann.«
    Fünf Minuten später
     rollten wir auf den Parkplatz eines unauffälligen Hotels. Ich blieb
     bei Barnes im Wagen sitzen, während Ben und Sir Henry eincheckten.
    In der Zwischenzeit nahm ich
     die Brosche heraus und öffnete das Medaillon. Die Laternen vor dem
     Hotel tauchten das kleine Porträt in orangenes Licht. »Wohin
     jetzt?«, fragte ich den jungen Mann stumm.
    Mit dem Kruzifix in der Hand
     sah er mich amüsiert, fast herausfordernd an. In seinen Augen schien
     zugleich Spott und Verachtung zu glimmen.

 
    34
    Den schleuste mich durch den
     Hintereingang des Hotels in ein Zweibettzimmer. Sir Henry hatte sein
     eigenes Zimmer und ging sich frisch machen. Als er ein paar Minuten später
     vor unserer Tür erschien, war er beinahe wieder der Alte, wenn auch
     ein wenig blass um die Nase. Ich stand am Fenster und betrachtete das geöffnete
     Medaillon.
    »Mit dem Brief hast du
     aufgegeben?«, fragte Sir Henry und machte es sich in unserem
     bequemsten Sessel gemütlich.
    »Die beiden gehören
     zusammen«, erwiderte ich. »Das weiß ich. Ich weiß
     nur noch nicht, wie.«
    Dein ew’ger Sommer doch
     soll nie verrinnen, stand dort in goldenen Lettern. Ad Maiorem Dei
     Gloriam.
    Doch wie hingen die Miniatur
     und der Brief, den wir gefunden hatten, zusammen? Vielleicht gab es keine
     direkte Verbindung, aber Ophelia hatte behauptet, das Bild und der Brief wären
     verschiedene Wege zur gleichen Wahrheit.

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