Die Shakespeare-Morde
wühlend
Schweim. Welcher von Elisabeths pfauenstolzen Höflingen würde
sich freiwillig mit dem unrühmlichen Sinnbild des buckligen Richard
III. betiteln lassen? Des Urvaters von ›Tricky Dick‹ Nixon?«
»Versprich mir, dass du
nicht explodierst«, sagte ich.
»Ich verspreche gar
nichts.«
Ich seufzte. »Bacon.«
»Sir Francis Bacon«,
ächzte Sir Henry.
Ben lachte, dann räusperte
er sich verlegen.
»Ursprünglich
hatten auch die Bacons ein Wildschwein zum Wappentier«, erklärte
ich. »Aber die Familie ist einer Menge übler Scherze
zuvorgekommen, indem sie das Wappentier selbst zum Eber umdeutete. Es gibt
die Anekdote von Francis Bacons Vater, einem Richter, der so dick wie ein
Fass war: Einmal sprach ihn vor Gericht ein Angeklagter an, der wegen
seines Nachnamens - Swine - behauptete, mit Bacon verwandt zu sein.
›Du und ich sind erst verwandt, wenn man dich aufhängt‹,
konterte der alte Richter, ›denn aus der Schwarte wird erst Speck,
wenn sie tüchtig abgehangen ist.‹« Ich wagte nicht, Ben
anzusehen, doch ich spürte, dass er sich das Lachen verkneifen
musste. »Und Shakespeare hat den Scherz aufgegriffen.«
»In den ›Lustigen
Weibern von Windsor‹«, seufzte Sir Henry. »Frau Hurtig
denkt, ›Hängebauchschwein‹ wäre ein anderes Wort für
Bacon.«
Jetzt prustete Ben los.
Sir Henry ignorierte ihn.
»Aber wo führt uns die Schimäre hin? Anscheinend soll
dieser Will - wer immer er ist - an St. Alban schreiben.«
»Und wieder Bacon«,
überlegte ich. »Zu Beginn des Jahres 1621 ernannte Jakob I.
Francis Bacon zum Viscount von St. Alban.«
Ben hörte auf zu lachen.
Sir Henry beugte sich vor.
»Also ist Bacon der Einzige, den der Schwan noch betören muss,
und Will verspricht ihm, ihm selbst zu schreiben.«
Ich nickte.
»Wo lebte Bacon?«
»Auf einem Landsitz
namens Gorhambury. Vor den Toren von St. Albans.«
»Barnes«, sagte
Sir Henry leise. »Fahren Sie nach St. Albans.«
»So leicht ist es nicht«,
wandte ich ungeduldig ein. »Gorhambury -ein Fantasiepalast, den
Bacon selbst entworfen hatte - stand schon fünfzig Jahre nach Bacons
Tod in Ruinen.«
»Aber es muss doch
etwas übrig sein«, beharrte Sir Henry.
Ich trommelte mit den Fingern
auf die Knie. »Es gibt eine Statue in der Gemeindekirche in St.
Albans, die der Shakespeare-Statue in Westminster ähnelt. Aber die
wird seit hundertfünfzig Jahren von Bacon-Jüngern unter die Lupe
genommen.«
»Also ein
unwahrscheinlicher Ort für ein Versteck.«
Ben nahm mir den Brief ab.
»Aber wenn Will selbst an St. Alban schreibt«, sagte er,
»warum bittet er den Schwan, den Eber zu bezirzen?« Er sah
auf. »Das spricht doch eher dafür, dass St. Alban und der Eber
zwei verschiedene Leute sind.«
Wir beugten uns über den
Brief. Er hatte recht.
»Gibt es vielleicht
noch einen schaurigen Eber?«, fragte Sir Henry.
»Nicht dass ich wüsste.«
»Und wo fahren wir
jetzt hin?«, fragte Ben.
»Irgendwohin, wo ich
nachdenken kann.«
Fünf Minuten später
rollten wir auf den Parkplatz eines unauffälligen Hotels. Ich blieb
bei Barnes im Wagen sitzen, während Ben und Sir Henry eincheckten.
In der Zwischenzeit nahm ich
die Brosche heraus und öffnete das Medaillon. Die Laternen vor dem
Hotel tauchten das kleine Porträt in orangenes Licht. »Wohin
jetzt?«, fragte ich den jungen Mann stumm.
Mit dem Kruzifix in der Hand
sah er mich amüsiert, fast herausfordernd an. In seinen Augen schien
zugleich Spott und Verachtung zu glimmen.
34
Den schleuste mich durch den
Hintereingang des Hotels in ein Zweibettzimmer. Sir Henry hatte sein
eigenes Zimmer und ging sich frisch machen. Als er ein paar Minuten später
vor unserer Tür erschien, war er beinahe wieder der Alte, wenn auch
ein wenig blass um die Nase. Ich stand am Fenster und betrachtete das geöffnete
Medaillon.
»Mit dem Brief hast du
aufgegeben?«, fragte Sir Henry und machte es sich in unserem
bequemsten Sessel gemütlich.
»Die beiden gehören
zusammen«, erwiderte ich. »Das weiß ich. Ich weiß
nur noch nicht, wie.«
Dein ew’ger Sommer doch
soll nie verrinnen, stand dort in goldenen Lettern. Ad Maiorem Dei
Gloriam.
Doch wie hingen die Miniatur
und der Brief, den wir gefunden hatten, zusammen? Vielleicht gab es keine
direkte Verbindung, aber Ophelia hatte behauptet, das Bild und der Brief wären
verschiedene Wege zur gleichen Wahrheit.
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