Die Shakespeare-Morde
William Herbert Graf von Pembroke zum Beispiel. Der
Ältere der Unvergleichlichen. Zum anderen der goldene Jüngling
aus den Sonetten.«
»Und William Turner«,
bemerkte Ben mit einem Blick zu mir. »Aber wenn Shakespeare der
Schwan ist«, wandte er ein, »müsste der Brief nicht
eigentlich bei seinen Papieren gelandet sein? Was macht er in Wilton
House?«
Die Zahnräder in meinem
Gehirn schienen sehr langsam zu arbeiten. Immer wieder tauchte das Gesicht
der toten Mrs Quigley vor mir auf. Hinter uns schwärmten die Sirenen
in Wiltshire aus, und irgendwo da draußen war der Mann, der Mrs
Quigley erdrosselt und mit Federn geschmückt hatte. »Es gibt
noch einen Kandidaten für den süßen Schwan«, sagte
ich mit belegter Stimme. »Jemand, der rechtfertigen würde, dass
wir den Brief in Wilton House gefunden haben … Mary Sidney. Die Gräfin
von Pembroke. Die Mutter der Unvergleichlichen.«
Sir Henry schnaubte, doch ich
ignorierte ihn. Ich hielt die Papiere fest auf meinem Schoß, als könnten
sie sich mit einem Lidschlag in Luft auflösen. Heute Abend war eine
Frau wegen dieses Briefes gestorben. Das Ganze musste einen Sinn ergeben.
Das musste es einfach. »Nach dem Tod ihres Bruders behielt die Gräfin
den Namen Sidney und das offizielle Symbol der Sidneys: die Pfeilspitze,
manchmal auch Speerspitze genannt. Doch sie behielt auch Philips persönliches
Emblem: den Schwan. Der ihm von den belagerten Protestanten in Frankreich
gewidmet worden war, die Philip verehrten …« Ich sah auf, und
Sir Henrys Augen bohrten sich in meine. »›Sidney‹,
französisch ausgesprochen, klingt so ähnlich wie ›cygne‹.«
»Französisch für
›Schwan‹«, sagte Ben.
»Französisch für
›vollkommen absurd‹«, knurrte Sir Henry.
Der Wagen wurde langsamer.
Wir waren einen weiten Bogen gefahren, und jetzt hatten wir wieder die
Hauptstraße nach London erreicht. Wir fädelten uns in den
Verkehr nach Osten ein.
»Vielleicht absurd«,
sagte ich, »aber es gibt einen Porträtstich der Gräfin von
Pembroke im Alter, eine Ehrung ihrer literarischen Leistungen. Sie trägt
eine breite Halskrause, in deren Spitze wieder und wieder der Umriss eines
Schwans auftaucht.«
»Es ist aber das Flüsschen
Nadder, dessen Wasser ihr mir hier auf meine Ledersitze tropft, nicht der
Avon«, widersprach Sir Henry. »Der Avon fließt durch
Stratford, in Warwickshire.«
»Avon ist das
walisische Wort für ›Fluss‹«, entgegnete ich.
»In England gibt es viele Avons. Ein Avon fließt durch
Salisbury. Und im siebzehnten Jahrhundert, als die zu Wilton House gehörigen
Ländereien größer waren als heute, floss dieser Avon durch
das Land der Pembrokes.« Ich schüttelte den Kopf. »Es
gibt sogar ein Dorf namens Stratfordsub-Castle hier in der Nähe.
Direkt am Avon.« Ich stützte den Kopf in die Hände.
»Ich schätze, das
ist noch nicht alles«, sagte Ben.
Ich nickte. »Außerdem
schrieb die Gräfin. Vor allem ihre Übersetzung der Psalmen in
englische Versform machte sie berühmt. Aber sie schrieb auch fürs
Theater.«
Es entstand eine Pause.
»Sie hat Stücke
geschrieben?«, fragte Ben ungläubig.
»Ein Stück. Ein
Kammerspiel, das mehr für private Lesungen unter Freunden gedacht
war, nicht so sehr für echte Schauspieler auf der Bühne.«
Ich sah auf. »Sie schrieb ›Die Tragödie von Antonius‹,
die erste englische Theaterversion der Geschichte von Antonius und
Kleopatra.«
»Antonius -«,
rief Ben, doch Sir Henry schnitt ihm das Wort ab.
»Willst du sagen, Mary
Sidney war Shakespeare?«
»Nein«,
entgegnete ich gereizt. »Ich habe mich nicht plötzlich in Delia
Bacon verwandelt. Aber ich finde, wir sollten die Möglichkeit in
Betracht ziehen, dass Mary Sidney Gräfin von Pembroke vielleicht der
süße Schwan aus diesem Brief ist.« Ich seufzte. »Und
ich finde, wir sollten versuchen, aus dieser Möglichkeit logische
Schlüsse zu ziehen.
In dem Brief geht es ganz
offensichtlich um die First Folio Edition, was bedeutet, dass er 1623 oder
früher geschrieben worden sein muss, Und falls wirklich die Gräfin
der süße Schwan war, der die Veröffentlichung
beschleunigen wollte, muss der Brief vor September 1621 geschrieben worden
sein, denn in dem Jahr ist sie an den Pocken gestorben.«
»Worauf es ihren Söhnen
oblag, die Folio zu finanzieren«, sagte Ben.
»Was uns zurück
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