Die Shakespeare-Morde
Also mussten sie zur gleichen
kleinen Welt gehören.
Ros hatte immer gesagt,
Bedeutung ließe sich nur durch Kontext erschließen. Welche Art
Kontext war die Miniatur für den Brief? Oder der Brief für die
Miniatur?
Die Miniatur mit dem Kruzifix
war eindeutig katholisch. In dem Brief schien es um die First Folio
Edition zu gehen. Was hatte beides miteinander zu tun?
»Es gibt eine
Verbindung«, sagte ich frustriert. »Aber ich kenne mich zu
wenig mit Religionsgeschichte aus, um sie zu erkennen.«
»Vielleicht ist es
Zeit, einen Experten zu konsultieren«, schlug Sir Henry vor.
»Ich kenne keinen«,
erklärte ich.
»Am besten wäre
jemand, der sich mit Religion und mit Shakespeare auskennt«, sagte
Ben. Er sah mich durchdringend an, und dann fiel es mir ein. Im Programm
der Konferenz in der Folger-Bibliothek hatten wir beide den Titel von
Matthew Morris’ Referat gelesen. ›Shakespeare und die Feuer
des geheimen Katholizismus‹.
»Ihn will ich nicht
anrufen«, sagte ich bestimmt.
Sir Henry horchte auf.
»Wen anrufen?«
»Matthew Morris«,
sagte ich. »Professor Matthew Morris.«
»Der wahrscheinlich zu
gerne helfen würde«, sagte Ben.
»Aha«, sagte Sir
Henry. »Ich kann es mir schon vorstellen. Hat der arme Mann sonst
noch etwas Fürchterliches getan, außer sein Interesse an dir zu
bekunden?«
»Er geht mir auf die
Nerven«, sagte ich wenig überzeugend. »Ros ist er auch
auf die Nerven gegangen.«
»Manchmal, meine Liebe«,
sagte Sir Henry, »bist du wirklich eine arrogante Ziege.« Er
hielt mir sein Handy hin. »Wenn der Mann uns helfen kann, ruf ihn
an.«
»Nimm meins«,
sagte Ben. »Ist schwerer zurückzuverfolgen.«
»Ros wäre dagegen«,
sagte ich grimmig.
»Ros wäre dagegen,
dass ihr Mörder ihren Schatz in die Finger bekommt«, gab Ben
zurück. Er stellte den Lautsprecher an seinem Black-Berry an, und ich
kramte Matthews Karte heraus und tippte die Nummer ein.
Nach dem zweiten Klingeln war
Matthew dran. »Kate«, sagte er verschlafen. Und dann hörte
ich, wie er sich im Bett aufsetzte. »Kate?Wo bist du? Geht es dir
gut?«
»Ja, es geht mir gut.
Was kannst du mir über den Satz ›Ad Maiorem Dei Gloriam‹
sagen?«
Er klang schrill. »Du
bist auf der Flucht und willst, dass ich Latein übersetze?«
»Ich weiß, was es
heißt. ›Zur größeren Ehre Gottes‹. Ich weiß
nur nicht, was es bedeutet.«
»Erzählst du mir,
worum es geht?«
»Du hast gesagt, ich
soll anrufen, wenn ich deine Hilfe brauche. Jetzt rufe ich an.«
Einen Moment lang war es
still in der Leitung. »Es ist das Motto der Jesuiten.«
Ich wollte etwas sagen, doch
ich bremste mich. Die Soldaten Christi. Fromme, oft übereifrige
Priester, die England zurück in den Schoß der katholischen
Kirche bringen wollten.
Matthew fuhr fort. »Die
Schreckgespenster der Cecils und des ganzen Rests von Elisabeths und
Jakobs Ratgebern, von denen sie als Verräter gebrandmarkt wurden. Ein
unbequemer Titel, doch die Jesuiten trugen ihn mit der Geduld von
Heiligen. Buchstäblich. Ich glaube, etwa zehn sind Heilige, nachdem
sie wegen ihres Glaubens gehängt, ertränkt und gevierteilt
wurden.«
»Jesses«, sagte
ich.
»Genau«, sagte
Matthew. »Die Gesellschaft Jesu.«
Auf dem Medaillon wurde der
junge Mann von Flammen umlodert.
»Im Kontext dieses
Mottos«, sagte ich, und versuchte dabei möglichst gelassen zu
klingen, »wie würdest du diesen Satz deuten?« Ich las die
schnörkeligen, in verblasster, braun gewordener Tinte geschriebenen
Worte vor: Vnd so nehme ich die Pflicht auff mich, an St. Alban zu
schreiben vnd vnser Schweigen zu entschuldigen.
»Normalerweise hätte
ich an Francis Bacon gedacht«, sagte Matthew. »Aber in
Verbindung mit dem Jesuitenmotto drängt sich Valladolid auf.«
»Spanien?«
»Ja, Spanien.«
Matthew gähnte, dann begann er zu dozieren. »Valladolid, die
älteste Hauptstadt Kastiliens, ist Sitz des Royal English College,
das im späten 16. Jahrhundert vom spanischen König Philipp II.
gegründet wurde, um junge Engländer zu Priestern ausbilden zu
lassen. Die meisten Priester schlossen sich dem Jesuitenorden an und
wurden undercover zurück nach England geschickt, damit sie sich im
Verborgenen um die Gläubigen kümmerten. Die englische Regierung
behauptete, die Jesuiten würden außerdem loyale Bürger
dazu verführen, blutige
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