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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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braunen Ebene
     von Kastilien, die hier und da mit mäandernden grünen Flüssen
     gestreift war, zum Landeanflug ansetzten. Am Boden stiegen wir in ein
     Taxi, das mit hohem Tempo den langgezogenen Hang nach Valladolid
     hinunterjagte. Zu beiden Seiten ragten mit braunem Gras und einsamen Bäumen
     bewachsene Tafelberge auf wie die Mesas im amerikanischen Südwesten.
     Die Konquistadoren mussten sich im Norden
     Mexikos und Südwesten der USA wie zu Hause gefühlt haben.
     Zumindest sah die Natur genauso aus.
    Die Stadt tauchte plötzlich
     auf - eine Ansammlung von Lagerhäusern und neuen Gebäuden, eine
     Brücke über einem glatten, trägen Fluss, und dann wurden
     wir vom alten Europa verschluckt. Häuser mit hohen Fenstern und
     zierlichen Baikonen beschatteten die Straßen. Die Leute saßen
     in Strafiencafés oder flanierten unter den Bäumen oder über
     Märkte und Plätze mit Springbrunnen. Vor einer langen
     Backsteinmauer blieben wir stehen. Dahinter konnte ich die Spitze einer
     weißen Kuppel sehen.
    »El Real Colegio de
     Ingleses«, verkündete der Taxifahrer.
    Als ich ausstieg, musste ich
     in der spanischen Sonne blinzeln, die grell und scharf auf uns
     herabbrannte. Das große Kirchenportal war fest verschlossen. Ein Stück
     weiter gab es einen kleineren Eingang, der von der Straße zurückgesetzt
     war. Wir klingelten und warteten.
    Nach ein paar Minuten öffnete
     uns der Rektor des Royal College of St. Alban persönlich. Monsignor
     Michael Armstrong war ein imposanter Mann mit einem Brustkorb wie ein
     Fass, grauem Haar und einer langen, dünnen Nase wie der eines
     byzantinischen Heiligen. Über dem schwarzen Talar trug er eine rote
     Schärpe. Er stellte sich mit einer steifen Begrüßung vor,
     die etwa so viel Wärme verströmte wie Granit.
    Dann führte er uns durch
     einen hallenden Vorraum und mehrere weiße Korridore mit
     Terrakotta-Fliesen. Ich dachte, er brächte uns in sein Büro,
     doch stattdessen betraten wir das ruhige Dämmerlicht einer Kirche.
     »Im Sommer sind die Studenten nicht da, und der Stab ist auf ein
     Minimum reduziert«, erklärte der Rektor. »Wir nutzen die
     Abwesenheit, um die Büros zu streichen und die Fenster zu reparieren.
     Im Moment ist dies der beste Ort für eine Unterhaltung.« 
    Es war eine kleine spanische
     Barock-Basilika. Der Altar war grün und rot bemalt und mit
     vergoldeten Heiligen bestückt, und irgendwie erinnerte er mich an die
     Bühne im Globe Theatre. In der Mitte stand die Maria Vulnerata, die
     1596 beim Angriff auf Cádiz von den Engländern übel
     zugerichtet und seitdem von ihren katholischen Landsleuten verehrt wurde.
     Maria, Königin des Himmels. Die Nase fehlte und beide Arme. Lavinia,
     schoss es mir durch den Kopf, und ich musste den Blick von dem narbigen
     Gesicht abwenden.
    »Ich habe gehört,
     Sir Henry, dass Sie auf den Spuren Shakespeares sind.« Der Rektor
     sprach mit einem breiten nordenglischen Akzent. Vielleicht kam er aus
     Yorkshire. »Da sind Sie nicht der Erste, fürchte ich. Wir haben
     immer wieder nach seinen Spuren gesucht.« Er breitete die Hände
     zu einer hilflosen Geste aus, doch sein Mund zeigte Entschlossenheit.
     »Sie werden weder ihn noch Marlowe hier finden. Wenn Sie es wünschen,
     kann ich Ihnen den Eintrag von Marlowe - oder Morley - im Kollegregister
     zeigen. Es handelt sich wohl eindeutig um einen Decknamen.« Er lächelte
     kalt. »In Zeiten der Verfolgung waren die Namen toter Männer
     sehr nützlich, um die Lebenden zu schützen.«
    »Was für ein Glück,
     dass wir nicht nach Marlowe suchen«, entgegnete Sir Henry. »Es
     stimmt, wir sind auf Shakespeares Spuren, aber wir erwarten nicht, ihn
     hier zu finden.«
    Monsignor Armstrongs Miene
     zeigte einen Anflug von Überraschung. »Wen wollen Sie dann
     finden?«
    »Jemanden, der ihn
     vielleicht kannte«, sagte Sir Henry.
    »Hier? Sie meinen,
     Shakespeare hatte doch eine Verbindung zum Kolleg?«
    Ich nahm die Brosche aus der
     Tasche, öffnete das kleine Medaillon auf der Rückseite und
     zeigte ihm das Porträt des jungen Mannes mit dem Kruzifix. »Wir
     suchen nach ihm.«
    Monsignor Armstrongs Züge
     wurde milder. »Wundervoll«, flüsterte er. »Ist das
     ein Hilliard?«
    »Das hoffen wir«,
     sagte Sir Henry.
    »Es ist eindeutig ein Märtyrerporträt«,
     stellte der Rektor fest. »Ich habe von derartigen Porträts gehört,
     aber noch nie eines gesehen … Wie heißt er?«
    »William«, sagte
     Sir Henry mit einem

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