Die Shakespeare-Morde
braunen Ebene
von Kastilien, die hier und da mit mäandernden grünen Flüssen
gestreift war, zum Landeanflug ansetzten. Am Boden stiegen wir in ein
Taxi, das mit hohem Tempo den langgezogenen Hang nach Valladolid
hinunterjagte. Zu beiden Seiten ragten mit braunem Gras und einsamen Bäumen
bewachsene Tafelberge auf wie die Mesas im amerikanischen Südwesten.
Die Konquistadoren mussten sich im Norden
Mexikos und Südwesten der USA wie zu Hause gefühlt haben.
Zumindest sah die Natur genauso aus.
Die Stadt tauchte plötzlich
auf - eine Ansammlung von Lagerhäusern und neuen Gebäuden, eine
Brücke über einem glatten, trägen Fluss, und dann wurden
wir vom alten Europa verschluckt. Häuser mit hohen Fenstern und
zierlichen Baikonen beschatteten die Straßen. Die Leute saßen
in Strafiencafés oder flanierten unter den Bäumen oder über
Märkte und Plätze mit Springbrunnen. Vor einer langen
Backsteinmauer blieben wir stehen. Dahinter konnte ich die Spitze einer
weißen Kuppel sehen.
»El Real Colegio de
Ingleses«, verkündete der Taxifahrer.
Als ich ausstieg, musste ich
in der spanischen Sonne blinzeln, die grell und scharf auf uns
herabbrannte. Das große Kirchenportal war fest verschlossen. Ein Stück
weiter gab es einen kleineren Eingang, der von der Straße zurückgesetzt
war. Wir klingelten und warteten.
Nach ein paar Minuten öffnete
uns der Rektor des Royal College of St. Alban persönlich. Monsignor
Michael Armstrong war ein imposanter Mann mit einem Brustkorb wie ein
Fass, grauem Haar und einer langen, dünnen Nase wie der eines
byzantinischen Heiligen. Über dem schwarzen Talar trug er eine rote
Schärpe. Er stellte sich mit einer steifen Begrüßung vor,
die etwa so viel Wärme verströmte wie Granit.
Dann führte er uns durch
einen hallenden Vorraum und mehrere weiße Korridore mit
Terrakotta-Fliesen. Ich dachte, er brächte uns in sein Büro,
doch stattdessen betraten wir das ruhige Dämmerlicht einer Kirche.
»Im Sommer sind die Studenten nicht da, und der Stab ist auf ein
Minimum reduziert«, erklärte der Rektor. »Wir nutzen die
Abwesenheit, um die Büros zu streichen und die Fenster zu reparieren.
Im Moment ist dies der beste Ort für eine Unterhaltung.«
Es war eine kleine spanische
Barock-Basilika. Der Altar war grün und rot bemalt und mit
vergoldeten Heiligen bestückt, und irgendwie erinnerte er mich an die
Bühne im Globe Theatre. In der Mitte stand die Maria Vulnerata, die
1596 beim Angriff auf Cádiz von den Engländern übel
zugerichtet und seitdem von ihren katholischen Landsleuten verehrt wurde.
Maria, Königin des Himmels. Die Nase fehlte und beide Arme. Lavinia,
schoss es mir durch den Kopf, und ich musste den Blick von dem narbigen
Gesicht abwenden.
»Ich habe gehört,
Sir Henry, dass Sie auf den Spuren Shakespeares sind.« Der Rektor
sprach mit einem breiten nordenglischen Akzent. Vielleicht kam er aus
Yorkshire. »Da sind Sie nicht der Erste, fürchte ich. Wir haben
immer wieder nach seinen Spuren gesucht.« Er breitete die Hände
zu einer hilflosen Geste aus, doch sein Mund zeigte Entschlossenheit.
»Sie werden weder ihn noch Marlowe hier finden. Wenn Sie es wünschen,
kann ich Ihnen den Eintrag von Marlowe - oder Morley - im Kollegregister
zeigen. Es handelt sich wohl eindeutig um einen Decknamen.« Er lächelte
kalt. »In Zeiten der Verfolgung waren die Namen toter Männer
sehr nützlich, um die Lebenden zu schützen.«
»Was für ein Glück,
dass wir nicht nach Marlowe suchen«, entgegnete Sir Henry. »Es
stimmt, wir sind auf Shakespeares Spuren, aber wir erwarten nicht, ihn
hier zu finden.«
Monsignor Armstrongs Miene
zeigte einen Anflug von Überraschung. »Wen wollen Sie dann
finden?«
»Jemanden, der ihn
vielleicht kannte«, sagte Sir Henry.
»Hier? Sie meinen,
Shakespeare hatte doch eine Verbindung zum Kolleg?«
Ich nahm die Brosche aus der
Tasche, öffnete das kleine Medaillon auf der Rückseite und
zeigte ihm das Porträt des jungen Mannes mit dem Kruzifix. »Wir
suchen nach ihm.«
Monsignor Armstrongs Züge
wurde milder. »Wundervoll«, flüsterte er. »Ist das
ein Hilliard?«
»Das hoffen wir«,
sagte Sir Henry.
»Es ist eindeutig ein Märtyrerporträt«,
stellte der Rektor fest. »Ich habe von derartigen Porträts gehört,
aber noch nie eines gesehen … Wie heißt er?«
»William«, sagte
Sir Henry mit einem
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