Die Shakespeare-Morde
mehr um Häuser als um Bücher. Aber es gibt
mindestens eine gute Kopie.«
»Wo?«
»In New Place - dem
Haus, das Shakespeare gekauft hat, als er berühmt wurde.
Beziehungsweise in Nash’s House nebenan. New Place war das
zweitbeste Haus am Platz, als Shakespeare es kaufte, aber es wurde vor
langer Zeit abgerissen. Jetzt ist dort ein Park. In Nash’s House,
dem Nachbarhaus, wohnte seine Enkelin. Dort gibt es eine ganze Ausstellung
über Shakespeares gedruckte Werke, mit einer großen Abteilung
über die First Folio Edition.«
Ben fluchte. »Dann wird
Nash’s House sicher streng bewacht. Und sein Geburtshaus
wahrscheinlich auch. Sinclair wird kein Risiko eingehen.«
»Wir müssen nur in
die Kirche«, sagte Sir Henry. »Westminster Abbey wurde auch
nicht bewacht.«
»Nach dem, was in
Wilton House passiert ist«, warf Ben ein, »wäre ich mir
in Stratford nicht sicher.«
Ich will den verfluchten
Mistkerl drankriegen, der es wagt, unter meiner Nase ein nationales
Denkmal niederzubrennen, hatte Sinclair gesagt. Ich will den Kerl haben.
Wie ich Sinclair einschätzte, würde er nicht ruhen, bis er sein
Ziel erreicht hatte - was in Ordnung war, solange er mich nicht mit dem Mörder
verwechselte.
Nicht, dass er damit so
falsch lag, dachte ich und erinnerte mich schweren Herzens daran, wie Ben
die tote Mrs Quigley in Armen hielt. Hätte der Mörder sie auch
getötet - und Maxine und Dr. Sanderson wenn ich ihn nicht zu ihnen
geführt hätte? Es ist nicht deine Schuld, hatte Ben gesagt. Als
ich den Schatten des Flugzeugs beobachtete, der unter uns über die
braune Erde glitt, fiel es mir schwer, ihm zu glauben.
Nördlich der Pyrenäen
ballten sich die Wolken wie Watte, die im Wind wogte. Über dem Kanal
zogen sie sich zu einer dicken grauen Decke zusammen. Wir tauchten im
Sinkflug hinein, und dünne Regenfäden begannen gegen die Fenster
zu peitschen. Als wir in London landeten, goss es in Strömen. Barnes
erwartete uns am Ausgang, und kurze Zeit später fuhren wir durch den
Regen nach Westen, in Richtung Stratford.
Ich war lange nicht mehr dort
gewesen. Ich dachte an die kleinen Fachwerkhäuser mit den spitzen
Giebeln, die sich dicht aneinandergedrängt in die überfüllten
Gassen neigten. Und ich dachte an Ros’ Stimme.
Das Städtchen Stratford
hatte seine Blütezeit im Mittelalter und in der Renaissance erlebt,
später war es zu einem armen, verschlafenen Dorf geschrumpft. Erst
als im 19. Jahrhundert der wortgewaltige Zirkusdirektor und »König
des Humbugs« P. T. Barnum Interesse äußerte, Shakespeares
Geburtsort aufzukaufen und nach New York zu verschiffen, hatten es die
Engländer mit der Angst bekommen, und sie begannen, ihr Erbe zu schützen.
Was P. T. Barnum hoch anzurechnen war, wie ich fand.
Ros war anderer Meinung. Sie
hasste den Ort noch mehr, als sie das Globe Theatre hasste. Wenigstens
wagte im Globe keiner zu behaupten, Shakespeare wäre tatsächlich
hier gewesen, sagte sie finster. Seine »Geburtsstätte«
sei genauso eine Attrappe, ein Betrug wie Barnums Flohzirkus oder die
mumifizierte Meerjungfrau, nur dass man in Stratford viel scheinheiliger
war. Es gab keinen stichhaltigen Beweis dafür, dass der Barde je
einen Fuß in das Haus gesetzt hatte, das von Millionen als
Shakespeares Geburtshaus verehrt wurde - ein Gebäude, das obendrein
im 19. Jahrhundert völlig umgebaut worden war. Und doch zeigten die
Fremdenführer den Touristen unbekümmert das Bett, in dem Shakespeare
angeblich das Licht der Welt erblickt hatte. Von dem Haus, in dem er
wirklich gelebt hatte - New Place -, war nichts übrig als ein Loch im
Boden.
»Ein Park«, hatte
ich protestiert, »kein Loch im Boden.«
»Ein Park in Kellerhöhe«,
hatte Ros entgegnet. »Glyzinien, die aus seiner Sickergrube
klettern. Rosen, die in den Resten seiner Scheiße wurzeln.«
Er war irgendwo in Stratford
geboren, argumentierte ich, wahrscheinlich auf der Henley Street, wo sein
Vater laut Kataster Häuser besaß, auch wenn ich zugeben musste,
dass niemand genau wusste, welche. Jedenfalls war es einfacher, ein
bestimmtes Haus zu verehren, als in einer Straße zu stehen und die
Verehrung auf ein Undefiniertes Stück Raum zu verteilen.
»Religion«, sagte
Ros verächtlich. »Opium des Volkes.«
»Opium, das dir deinen
Lebensunterhalt beschert«, gab ich zurück.
»Wenn du etwas anbeten
musst«, sagte sie, »bete
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