Die Shakespeare-Morde
seine Worte an. Wenn du unbedingt
eine Kirche brauchst, geh ins Theater.«
Wenigstens im letzten Punkt
hatte ich sie beim Wort genommen.
»Apropos Kirche«,
hatte sie leichtfertig hinzugefügt, »die Kirche ist das einzige
authentische Shakespeare-Gebäude in der ganzen Stadt. Wenn es dir um
Shakespeares Präsenz geht, geh in die Kirche - da liegt der Kerl
heute noch, zum Kuckuck.«
Was Menschen Übles tun,
das überlebt sie, das Gute wird mit ihnen oft begraben. Ophelia
wollte die Worte umdrehen. Hatte sie es geschafft?
Das würden wir
herausfmden.
Im Wagen war es still bis auf
das Flüstern der Reifen auf der regennassen Straße und das
rhythmische Quietschen der Scheibenwischer. Dann tauchte das Städtchen
aus den grünen Feldern und Hügeln auf. Wir folgten den kurvigen
Straßen, überquerten die Brücke über den Avon und
bogen in die High Street ein.
Wir parkten vor Sir Henrys
Lieblingsabsteige, dem Shakespeare Hotel, nicht weit von der Kirche. Es
war ein langes Gebäude aus der Tudorzeit, mit dunklem Fachwerk über
weißem Putz, spitzen Giebeln und vom Alter krummen Balken, doch es
verströmte immer noch etwas von seiner alten Eleganz. Im Innern war
es geradezu fürstlich ausgestattet. Sir Henry buchte eine Suite und
bestellte Abendessen auf sein Zimmer. In der Zwischenzeit fuhren Ben und
ich an die Rückseite, wo ich mich unauffällig ins Gebäude
schlich.
Sobald ich auf dem Zimmer in
Sicherheit war, brach Ben auf, um die Überwachung der Kirche
auszukundschaften. Sir Henry döste in einem Ohrensessel, während
ich mich mit den Fotokopien aus Valladolid aufs Bett setzte.
Das Derby-Wappen auf dem
Einband war der Beweis, dass die Folio William Stanley Graf von Derby gehört
hatte - nicht dass er sie geschrieben hatte. Selbst die Widmung war kein
Beleg dafür. Das »Ich« des Sonetts war eine rhetorische
Figur - eine Maske, die sich jeder aufsetzen konnte. Die Verse bewiesen
nur, dass Derby mindestens eins von Shakespeares Sonetten und ›Julius
Cäsar‹ gelesen hatte.
Das machte ihn noch lange
nicht zu Shakespeare.
Aber es war eine Verbindung.
Dünn wie der Faden eines Spinnennetzes, aber ebenso stark.
Das schimärische Tier
war eine andere Geschichte.
Der Adler, der Schwan, der
Keiler, der Eber und der Falke, der die Lanze schwang: Zusammen mit dem
Brief von Will an den süßen Schwan sprach die Zeichnung dafür,
dass sie alle an der Schöpfung von Shakespeare beteiligt waren. Aber
wie?
Es gab unendlich viele
Variationen von Zusammenarbeit. Vielleicht hatten sich Derby, Lady
Pembroke, Bacon und Oxford zusammengetan, um den Dichter zu unterstützen.
Vielleicht hatten sie schlicht dafür gesorgt, dass er nicht vom
Schatten weltlicher Probleme geplagt wurde - sondern dass er, in Virginia
Woolfs Worten, fünfhundert im Jahr und ein Dach über dem Kopf
bekam plus einen Anteil an den King’s Men und ihrem Theater, dem
Globe. Was immerhin ein angenehmes Polster wäre.
Aber vielleicht ging die
Zusammenarbeit noch weiter. Vielleicht kam es hin und wieder vor, dass
einer von ihnen Shakespeare eine Geschichte vorschlug oder ihm ein Buch
hinlegte - Schau dir das an, das wird dir gefallen. Vielleicht erhielten
sie dafür die Chance, seine Werke im frühen Stadium zu prüfen,
hier und da einen Vers vorzuschlagen oder einen Namen. Vielleicht betreute
jeder von ihnen ein oder zwei Lieblingsprojekte - Bacon die ›Lustigen
Weiber‹, Lady Pembroke ›Antonius‹, Oxford ›Hamlet‹,
Derby den ›Sturm‹. Oder aber -und das war die extremste
Variante des Spektrums - die Mitglieder der Schimäre schrieben all
die Stücke selbst, im Kollektiv oder einzeln, und heuerten William
Shakespeare nur als Boten oder Maske an.
Ben kam zurück,
regennass und mit einer Sporttasche unter dem Arm, die aussah, als wäre
mehr darin als nur ein Paar Joggingschuhe. »Im ganzen Ort wimmelt es
von Polizei. Sinclair, ganz sicher. Aber sie haben vor allem das
Geburtshaus und Nash’s House mit der Buchausstellung im Visier. In
New Place haben sie entweder bewaffnete Gärtner oder ein paar nicht
sehr verdeckte Ermittler eingesetzt. Vor der Kirche dreht glücklicherweise
nur ein Wachtmeister die Runde.«
Sir Henry war plötzlich
hellwach. »Wie kommen wir rein?«
»Und wie bleiben wir
lange genug drin, um das Grab zu öffnen?«, setzte ich nach.
»Wir fragen nett beim Küster
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