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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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seine Worte an. Wenn du unbedingt
     eine Kirche brauchst, geh ins Theater.«
    Wenigstens im letzten Punkt
     hatte ich sie beim Wort genommen.
    »Apropos Kirche«,
     hatte sie leichtfertig hinzugefügt, »die Kirche ist das einzige
     authentische Shakespeare-Gebäude in der ganzen Stadt. Wenn es dir um
     Shakespeares Präsenz geht, geh in die Kirche - da liegt der Kerl
     heute noch, zum Kuckuck.«
    Was Menschen Übles tun,
     das überlebt sie, das Gute wird mit ihnen oft begraben. Ophelia
     wollte die Worte umdrehen. Hatte sie es geschafft?
    Das würden wir
     herausfmden.
    Im Wagen war es still bis auf
     das Flüstern der Reifen auf der regennassen Straße und das
     rhythmische Quietschen der Scheibenwischer. Dann tauchte das Städtchen
     aus den grünen Feldern und Hügeln auf. Wir folgten den kurvigen
     Straßen, überquerten die Brücke über den Avon und
     bogen in die High Street ein.
    Wir parkten vor Sir Henrys
     Lieblingsabsteige, dem Shakespeare Hotel, nicht weit von der Kirche. Es
     war ein langes Gebäude aus der Tudorzeit, mit dunklem Fachwerk über
     weißem Putz, spitzen Giebeln und vom Alter krummen Balken, doch es
     verströmte immer noch etwas von seiner alten Eleganz. Im Innern war
     es geradezu fürstlich ausgestattet. Sir Henry buchte eine Suite und
     bestellte Abendessen auf sein Zimmer. In der Zwischenzeit fuhren Ben und
     ich an die Rückseite, wo ich mich unauffällig ins Gebäude
     schlich. 
    Sobald ich auf dem Zimmer in
     Sicherheit war, brach Ben auf, um die Überwachung der Kirche
     auszukundschaften. Sir Henry döste in einem Ohrensessel, während
     ich mich mit den Fotokopien aus Valladolid aufs Bett setzte.
    Das Derby-Wappen auf dem
     Einband war der Beweis, dass die Folio William Stanley Graf von Derby gehört
     hatte - nicht dass er sie geschrieben hatte. Selbst die Widmung war kein
     Beleg dafür. Das »Ich« des Sonetts war eine rhetorische
     Figur - eine Maske, die sich jeder aufsetzen konnte. Die Verse bewiesen
     nur, dass Derby mindestens eins von Shakespeares Sonetten und ›Julius
     Cäsar‹ gelesen hatte.
    Das machte ihn noch lange
     nicht zu Shakespeare.
    Aber es war eine Verbindung.
     Dünn wie der Faden eines Spinnennetzes, aber ebenso stark.
    Das schimärische Tier
     war eine andere Geschichte.
    Der Adler, der Schwan, der
     Keiler, der Eber und der Falke, der die Lanze schwang: Zusammen mit dem
     Brief von Will an den süßen Schwan sprach die Zeichnung dafür,
     dass sie alle an der Schöpfung von Shakespeare beteiligt waren. Aber
     wie?
    Es gab unendlich viele
     Variationen von Zusammenarbeit. Vielleicht hatten sich Derby, Lady
     Pembroke, Bacon und Oxford zusammengetan, um den Dichter zu unterstützen.
     Vielleicht hatten sie schlicht dafür gesorgt, dass er nicht vom
     Schatten weltlicher Probleme geplagt wurde - sondern dass er, in Virginia
     Woolfs Worten, fünfhundert im Jahr und ein Dach über dem Kopf
     bekam plus einen Anteil an den King’s Men und ihrem Theater, dem
     Globe. Was immerhin ein angenehmes Polster wäre.   
    Aber vielleicht ging die
     Zusammenarbeit noch weiter. Vielleicht kam es hin und wieder vor, dass
     einer von ihnen Shakespeare eine Geschichte vorschlug oder ihm ein Buch
     hinlegte - Schau dir das an, das wird dir gefallen. Vielleicht erhielten
     sie dafür die Chance, seine Werke im frühen Stadium zu prüfen,
     hier und da einen Vers vorzuschlagen oder einen Namen. Vielleicht betreute
     jeder von ihnen ein oder zwei Lieblingsprojekte - Bacon die ›Lustigen
     Weiber‹, Lady Pembroke ›Antonius‹, Oxford ›Hamlet‹,
     Derby den ›Sturm‹. Oder aber -und das war die extremste
     Variante des Spektrums - die Mitglieder der Schimäre schrieben all
     die Stücke selbst, im Kollektiv oder einzeln, und heuerten William
     Shakespeare nur als Boten oder Maske an.
    Ben kam zurück,
     regennass und mit einer Sporttasche unter dem Arm, die aussah, als wäre
     mehr darin als nur ein Paar Joggingschuhe. »Im ganzen Ort wimmelt es
     von Polizei. Sinclair, ganz sicher. Aber sie haben vor allem das
     Geburtshaus und Nash’s House mit der Buchausstellung im Visier. In
     New Place haben sie entweder bewaffnete Gärtner oder ein paar nicht
     sehr verdeckte Ermittler eingesetzt. Vor der Kirche dreht glücklicherweise
     nur ein Wachtmeister die Runde.«       
    Sir Henry war plötzlich
     hellwach. »Wie kommen wir rein?«
    »Und wie bleiben wir
     lange genug drin, um das Grab zu öffnen?«, setzte ich nach.
    »Wir fragen nett beim Küster
    

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