Die Shakespeare-Morde
mit »Will«
unterzeichnet hatte.
Am unteren Rand der Seite
stand, in weniger ordentlichen Buchstaben, ein weiterer Satz.
Was Menschen Übles
tun, das überlebt sie,
Das Gute wird mit ihnen
oft begraben …
»Julius Cäsar«,
sagte Ben.
»Nein«, sagte ich
ungeduldig. »Ophelia. Jems Ophelia«, erklärte ich den
verwirrten Mienen, die mich ansahen. »Nicht die aus ›Hamlet‹.
Ophelia Granville hat diese Zeile in ihrem Brief an Mrs Folger zitiert.«
Professor Child, schrieb sie, habe sie vor dem Schweigen gewarnt. Und sie
hielt ihr Versprechen, indem sie die Zeilen umdrehte. Wie hatte sie es
ausgedrückt? Ich schreibe Ihnen … damit das Gute, das wir tun,
uns vielleicht doch überlebt, während das Böse mit uns
begraben wird.
Als sie davon schrieb, dass
Shakespeare in eine Richtung weise, hatte sie es ganz wörtlich
gemeint, auf die gleiche listige Art wie die Hexen aus ›Macbeth‹.
Was, wenn sie es auch hier buchstäblich meinte? Was hatte sie mit
sich selbst begraben lassen?
Plötzlich fiel es mir
wie Schuppen von den Augen. Nicht mit ihr.
Miß Bacon hatte Recht -
Recht und nochmals Recht. Das machte zwei - sie hatte zweimal Recht, nicht
nur einmal. Zuallererst hatte Delia Bacon geglaubt, dass Shakespeares
Werke von Sir Francis Bacon stammten, dem Kopf einer geheimen Kabale. Aber
sie hatte auch geglaubt, dass die wahre Identität des Barden in
Shakespeares Grab verborgen war.
Ich zeigte auf die Widmung in
Derbys Buch: Sei mit dem Leib mein Name eingesargt.
»Delia Bacon glaubte
daran«, sagte ich. »Und sie versuchte es zu beweisen.«
»Versuchte?«,
fragte Sir Henry irritiert, der den Rektor inzwischen über die ganze
Geschichte aufgeklärt hatte. »Was meinst du damit, sie
versuchte es?«
»Sie erhielt die
Erlaubnis, Shakespeares Grab in der Dreifaltigkeitskirche in Stratford zu
öffnen. Eines Nachts hielt sie allein in der Kirche Totenwache, aber
am Ende brachte sie es doch nicht übers Herz, das Grab aufzubrechen.
Zumindest schrieb sie das an ihren Freund Nathaniel Hawthorne.«
Zu jener Zeit brach bei Delia
bereits der Wahnsinn aus. Was, wenn sie das Grab doch geöffnet hatte?
Und etwas gefunden hatte? Was wäre mit ihrem Wissen passiert?
Sie hätte es mit in die
Irrenanstalt in Forest of Arden genommen, wo ein kleines Mädchen
namens Ophelia lebte. Die Tochter von Delias Arzt.
Was hatte Ophelia noch
gesagt? Ich versuchte mich an ihren Brief zu erinnern. Dass sie und Jem
gegen Gott und die Menschen gesündigt hatten, aber sie hatte, schrieb
sie, soweit es mir möglich war, alles an seinen rechtmäßigen
Platz zurückgebracht.
Ich vermied es, Ben oder Sir
Henry in die Augen zu sehen. Wir dachten alle drei das Gleiche:
Shakespeares Grab. Stratford. Doch keiner von uns wagte es auszusprechen.
»Wir müssen los«,
sagte Sir Henry.
»Ich glaube, das ist
alles, was ich im Moment wissen möchte«, sagte der Rektor mit
einem Mal wieder spröde. Er schnappte sich das Buch, und ich sprang
auf, weil ich fürchtete, er würde es unwiederbringlich
wegsperren. Doch zu meiner Überraschung ging er an den Kopierer und
kopierte die Seite mit dem schimärischen Tier. Er legte sie zu der
noch warmen Kopie, die ich vom Einband gemacht hatte, und reichte mir
beide.
»Danke«, sagte
ich beeindruckt.
»Wenn Sie eine Spur des
Paters finden, lassen Sie es mich wissen.«
Ich nickte. Wir waren im
Geschäft; ich würde meinen Teil einhalten.
»Also gut«, sagte
er energisch, »ich stimme mit Sir Henry überein. Sie sollten
jetzt gehen.« Dann führte er uns eilig zum Eingang zurück,
während sein schwarzer Talar über die Terrakotta-Fliesen fegte.
»Gehen Sie in Frieden, und möge Gott Sie auf Ihrer Reise schützen«,
sagte er, als wir hinaus in die grelle spanische Sonne traten und ein Taxi
heranwinkten. Einen Augenblick lang sah ich noch seine Silhouette im
Eingang stehen, das Buch wie einen Schutzschild vor die Brust gehalten, dann jagten
wir den Hang hinauf zurück zum Flughafen.
Ich starrte die Kopien in
meinem Schoß an. Sei mit dem Leib mein Name eingesargt.
Keiner sprach ein Wort. Wir
wussten alle, wo es hinging und wieso. Doch auf unserer Reise konnten wir
weder Frieden noch Schutz erwarten.
36
Gibt es eine Folio in
Stratford?«, fragte Ben, als das Flugzeug nach London von der
Startbahn abhob.
»Kein Original. In
Stratford geht es
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