Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
Vom Netzwerk:
mit »Will«
     unterzeichnet hatte.
    Am unteren Rand der Seite
     stand, in weniger ordentlichen Buchstaben, ein weiterer Satz.
     
    Was Menschen Übles
     tun, das überlebt sie,
    Das Gute wird mit ihnen
     oft begraben …
     
    »Julius Cäsar«,
     sagte Ben.
    »Nein«, sagte ich
     ungeduldig. »Ophelia. Jems Ophelia«, erklärte ich den
     verwirrten Mienen, die mich ansahen. »Nicht die aus ›Hamlet‹.
     Ophelia Granville hat diese Zeile in ihrem Brief an Mrs Folger zitiert.«
     Professor Child, schrieb sie, habe sie vor dem Schweigen gewarnt. Und sie
     hielt ihr Versprechen, indem sie die Zeilen umdrehte. Wie hatte sie es
     ausgedrückt? Ich schreibe Ihnen … damit das Gute, das wir tun,
     uns vielleicht doch überlebt, während das Böse mit uns
     begraben wird.
    Als sie davon schrieb, dass
     Shakespeare in eine Richtung weise, hatte sie es ganz wörtlich
     gemeint, auf die gleiche listige Art wie die Hexen aus ›Macbeth‹.
     Was, wenn sie es auch hier buchstäblich meinte? Was hatte sie mit
     sich selbst begraben lassen?   
    Plötzlich fiel es mir
     wie Schuppen von den Augen. Nicht mit ihr.
    Miß Bacon hatte Recht -
     Recht und nochmals Recht. Das machte zwei - sie hatte zweimal Recht, nicht
     nur einmal. Zuallererst hatte Delia Bacon geglaubt, dass Shakespeares
     Werke von Sir Francis Bacon stammten, dem Kopf einer geheimen Kabale. Aber
     sie hatte auch geglaubt, dass die wahre Identität des Barden in
     Shakespeares Grab verborgen war.
    Ich zeigte auf die Widmung in
     Derbys Buch: Sei mit dem Leib mein Name eingesargt.
    »Delia Bacon glaubte
     daran«, sagte ich. »Und sie versuchte es zu beweisen.«
    »Versuchte?«,
     fragte Sir Henry irritiert, der den Rektor inzwischen über die ganze
     Geschichte aufgeklärt hatte. »Was meinst du damit, sie
     versuchte es?«
    »Sie erhielt die
     Erlaubnis, Shakespeares Grab in der Dreifaltigkeitskirche in Stratford zu
     öffnen. Eines Nachts hielt sie allein in der Kirche Totenwache, aber
     am Ende brachte sie es doch nicht übers Herz, das Grab aufzubrechen.
     Zumindest schrieb sie das an ihren Freund Nathaniel Hawthorne.«
    Zu jener Zeit brach bei Delia
     bereits der Wahnsinn aus. Was, wenn sie das Grab doch geöffnet hatte?
     Und etwas gefunden hatte? Was wäre mit ihrem Wissen passiert?       
    Sie hätte es mit in die
     Irrenanstalt in Forest of Arden genommen, wo ein kleines Mädchen
     namens Ophelia lebte. Die Tochter von Delias Arzt.
    Was hatte Ophelia noch
     gesagt? Ich versuchte mich an ihren Brief zu erinnern. Dass sie und Jem
     gegen Gott und die Menschen gesündigt hatten, aber sie hatte, schrieb
     sie, soweit es mir möglich war, alles an seinen rechtmäßigen
     Platz zurückgebracht.
    Ich vermied es, Ben oder Sir
     Henry in die Augen zu sehen. Wir dachten alle drei das Gleiche:
     Shakespeares Grab. Stratford. Doch keiner von uns wagte es auszusprechen.
    »Wir müssen los«,
     sagte Sir Henry.
    »Ich glaube, das ist
     alles, was ich im Moment wissen möchte«, sagte der Rektor mit
     einem Mal wieder spröde. Er schnappte sich das Buch, und ich sprang
     auf, weil ich fürchtete, er würde es unwiederbringlich
     wegsperren. Doch zu meiner Überraschung ging er an den Kopierer und
     kopierte die Seite mit dem schimärischen Tier. Er legte sie zu der
     noch warmen Kopie, die ich vom Einband gemacht hatte, und reichte mir
     beide.
    »Danke«, sagte
     ich beeindruckt.
    »Wenn Sie eine Spur des
     Paters finden, lassen Sie es mich wissen.«
    Ich nickte. Wir waren im
     Geschäft; ich würde meinen Teil einhalten.
    »Also gut«, sagte
     er energisch, »ich stimme mit Sir Henry überein. Sie sollten
     jetzt gehen.« Dann führte er uns eilig zum Eingang zurück,
     während sein schwarzer Talar über die Terrakotta-Fliesen fegte.
     »Gehen Sie in Frieden, und möge Gott Sie auf Ihrer Reise schützen«,
     sagte er, als wir hinaus in die grelle spanische Sonne traten und ein Taxi
     heranwinkten. Einen Augenblick lang sah ich noch seine Silhouette im
     Eingang stehen, das Buch wie einen Schutzschild vor die Brust gehalten, dann jagten
     wir den Hang hinauf zurück zum Flughafen.
    Ich starrte die Kopien in
     meinem Schoß an. Sei mit dem Leib mein Name eingesargt.
    Keiner sprach ein Wort. Wir
     wussten alle, wo es hinging und wieso. Doch auf unserer Reise konnten wir
     weder Frieden noch Schutz erwarten.

 
    36
    Gibt es eine Folio in
     Stratford?«, fragte Ben, als das Flugzeug nach London von der
     Startbahn abhob.
    »Kein Original. In
     Stratford geht es

Weitere Kostenlose Bücher