Die Shakespeare-Morde
wenn seine Günstlinge heirateten; statt
eifersüchtig auf ihre Ehefrauen zu sein, zeigte er sich gewöhnlich
überaus großzügig. Doch die Vorteile wären auf seine
Regierungszeit beschränkt. Sobald der Fürst den Thron bestieg, könnte
sich die Verbindung mit Carr als desaströs erweisen.
Frances sah erst ihren Großonkel
an, dann ihren Vater, dann stürmte sie aus dem Zimmer.
Im Oktober, als die Äpfel
reiften und die Blätter fielen, warf Fürst Heinrich ein plötzliches
Fieber nieder. Zwei Wochen später, Anfang November, war er tot. Das
Gerücht, er sei vergiftet worden, lag in der Herbstluft, und
Northampton beobachtete seine Großnichte mit finsterem Blick.
Schweigend erwiderte sie seinen Blick mit kalten Augen.
Für die Familie war der
Weg nun frei. Da der Fürst tot war, beschloss man, auf Carr zu
setzen, und begann mit neuem Druck auf die Annullierung von Frances’
erster Ehe zu pochen.
Dann, im Dezember, landete
Shakespeares neues Stück auf Suffolks Schreibtisch - ›Cardenio‹
und man erkannte, dass man ein Problem geschaffen hatte.
Der Titel war ein seltsamer
Zufall, doch keiner, den man durchgehen lassen konnte. In einem Stück,
das ursprünglich den Fürsten an den Pranger stellen und Frances
entlasten sollte, war der Name Cardenio viel zu nah an Carr. Schlimmer
noch, im Stück war Cardenio der romantische Held, der die Heldin aus
den Klauen des bestechlichen Fürsten retten würde. Cardenio
hatte für Frances’ ersten Ehemann - Essex - stehen sollen, doch
diese Ähnlichkeit würde jetzt niemand mehr sehen. Gerüchte
waren im Umlauf, dass Frances mit Carr dem Fürsten Hörner
aufgesetzt hatte, und das Stück würde Öl ins Feuer gießen.
Mit einer Namensänderung wäre es längst nicht getan. Die
ganze Welt hatte ›Don Quixote‹ gelesen. Cardenios Geschichte
war wiedererkennbar, egal welchen Namen man ihm verpasste.
Man befahl Mr Shakespeare,
das Stück zurückzuziehen.
Bevor Shakespeare antworten
konnte, kam dem König zu Ohren, dass es ein Stück zu dem neuen
Buch ›Quixote‹ gäbe. Der König verlangte danach,
namentlich, um es bei der Hochzeit seiner Tochter aufführen zu
lassen.
Nicht einmal Suffolk konnte
sich einer direkten Anordnung des Königs widersetzen. Im Januar wurde
›Cardenio‹ am Hof gegeben. Suffolk, der schäumend im
Hintergrund saß, sorgte wenigstens dafür, dass das verfluchte
Stück schnell wieder in der Versenkung verschwand. Leider blieb es
nicht lange in Vergessenheit. Im Juni kündigten die King’s Men
an, dass sie das Stück im Globe Theatre öffentlich aufführen
würden. Wieder wies man Mr Shakespeare an, das Stück zurückzuziehen.
Aus Gründen, die er
nicht ausführte, lehnte Shakespeare ab.
*
Eines schönen
Juninachmittags nahm die dunkelhaarige Frau ihre fünfjährige
Tochter bei der Hand, dunkel wie ein Zigeunermädchen, und führte
sie die Treppe zum mittleren Rang des Globe Theatre hinauf.
»Von wem?«, hatte
Will einmal gefragt. »Wessen Tochter ist sie?«
»Sie heißt
Rosalind«, hatte sie geantwortet. »Ich nenne sie Rose.«
»Des Geistes Sturz in
unermess’ne Schmach«, hatte Will gestöhnt. Worte, die sie
noch heute wütend machten.
Das Mädchen war
aufgeregt. Sie lutschte an einer Orange und sah sich mit großen
Augen auf den vollen Rängen um. Sie war noch nie zuvor im Theater gewesen. »Können
wir ihn sehen?«, fragte sie zum hundertsten Mal. »Mr
Shakespeare?«
»Später«,
sagte die Mutter.
Sie war selbst lange nicht im
Globe gewesen. Sie hatte die aufdringlichen Gerüche fast vergessen:
Gerüche von Körpern und Pomade, von Zuckerwerk und Pasteten, die
von Kindern, kaum älter als ihre Tochter, feilgeboten wurden. Und die
Farben: das stumpfe Blau der Lehrlingskittel Seite an Seite mit dem
eleganten Glanz der Batistkleider der Adligen und dem protzigen Staat der
Huren im Dienst.
Shakespeare würde an dem
Ort sein, den er am meisten liebte: bei den Schauspielern hinter der Bühne.
Von dort würde er die Zuschauer beobachten. Wahrscheinlich auch sie.
Mit einer Trompetenfanfare
begann die Vorführung und nahm das ganze Publikum nach Spanien mit.
Kurz vor dem Ende des ersten
Akts wurde ihr eine Nachricht in die Hand gedrückt. Sie sah sich um,
doch sie konnte niemanden entdecken, der ihr Aufmerksamkeit schenkte. Dann
las sie den Zettel. Nun werde ich zur Gruft meiner Ehre, hatte jemand
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