Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
Vom Netzwerk:
wenn seine Günstlinge heirateten; statt
     eifersüchtig auf ihre Ehefrauen zu sein, zeigte er sich gewöhnlich
     überaus großzügig. Doch die Vorteile wären auf seine
     Regierungszeit beschränkt. Sobald der Fürst den Thron bestieg, könnte
     sich die Verbindung mit Carr als desaströs erweisen.
    Frances sah erst ihren Großonkel
     an, dann ihren Vater, dann stürmte sie aus dem Zimmer.
    Im Oktober, als die Äpfel
     reiften und die Blätter fielen, warf Fürst Heinrich ein plötzliches
     Fieber nieder. Zwei Wochen später, Anfang November, war er tot. Das
     Gerücht, er sei vergiftet worden, lag in der Herbstluft, und
     Northampton beobachtete seine Großnichte mit finsterem Blick.
     Schweigend erwiderte sie seinen Blick mit kalten Augen.
    Für die Familie war der
     Weg nun frei. Da der Fürst tot war, beschloss man, auf Carr zu
     setzen, und begann mit neuem Druck auf die Annullierung von Frances’
     erster Ehe zu pochen.
    Dann, im Dezember, landete
     Shakespeares neues Stück auf Suffolks Schreibtisch - ›Cardenio‹
     und man erkannte, dass man ein Problem geschaffen hatte.
    Der Titel war ein seltsamer
     Zufall, doch keiner, den man durchgehen lassen konnte. In einem Stück,
     das ursprünglich den Fürsten an den Pranger stellen und Frances
     entlasten sollte, war der Name Cardenio viel zu nah an Carr. Schlimmer
     noch, im Stück war Cardenio der romantische Held, der die Heldin aus
     den Klauen des bestechlichen Fürsten retten würde. Cardenio
     hatte für Frances’ ersten Ehemann - Essex - stehen sollen, doch
     diese Ähnlichkeit würde jetzt niemand mehr sehen. Gerüchte
     waren im Umlauf, dass Frances mit Carr dem Fürsten Hörner
     aufgesetzt hatte, und das Stück würde Öl ins Feuer gießen.
     Mit einer Namensänderung wäre es längst nicht getan. Die
     ganze Welt hatte ›Don Quixote‹ gelesen. Cardenios Geschichte
     war wiedererkennbar, egal welchen Namen man ihm verpasste.
    Man befahl Mr Shakespeare,
     das Stück zurückzuziehen.
    Bevor Shakespeare antworten
     konnte, kam dem König zu Ohren, dass es ein Stück zu dem neuen
     Buch ›Quixote‹ gäbe. Der König verlangte danach,
     namentlich, um es bei der Hochzeit seiner Tochter aufführen zu
     lassen.
    Nicht einmal Suffolk konnte
     sich einer direkten Anordnung des Königs widersetzen. Im Januar wurde
     ›Cardenio‹ am Hof gegeben. Suffolk, der schäumend im
     Hintergrund saß, sorgte wenigstens dafür, dass das verfluchte
     Stück schnell wieder in der Versenkung verschwand. Leider blieb es
     nicht lange in Vergessenheit. Im Juni kündigten die King’s Men
     an, dass sie das Stück im Globe Theatre öffentlich aufführen
     würden. Wieder wies man Mr Shakespeare an, das Stück zurückzuziehen.
    Aus Gründen, die er
     nicht ausführte, lehnte Shakespeare ab.
    *
    Eines schönen
     Juninachmittags nahm die dunkelhaarige Frau ihre fünfjährige
     Tochter bei der Hand, dunkel wie ein Zigeunermädchen, und führte
     sie die Treppe zum mittleren Rang des Globe Theatre hinauf.
    »Von wem?«, hatte
     Will einmal gefragt. »Wessen Tochter ist sie?«
    »Sie heißt
     Rosalind«, hatte sie geantwortet. »Ich nenne sie Rose.«
    »Des Geistes Sturz in
     unermess’ne Schmach«, hatte Will gestöhnt. Worte, die sie
     noch heute wütend machten.
    Das Mädchen war
     aufgeregt. Sie lutschte an einer Orange und sah sich mit großen
     Augen auf den vollen Rängen um. Sie war noch nie zuvor im Theater gewesen. »Können
     wir ihn sehen?«, fragte sie zum hundertsten Mal. »Mr
     Shakespeare?«
    »Später«,
     sagte die Mutter.
    Sie war selbst lange nicht im
     Globe gewesen. Sie hatte die aufdringlichen Gerüche fast vergessen:
     Gerüche von Körpern und Pomade, von Zuckerwerk und Pasteten, die
     von Kindern, kaum älter als ihre Tochter, feilgeboten wurden. Und die
     Farben: das stumpfe Blau der Lehrlingskittel Seite an Seite mit dem
     eleganten Glanz der Batistkleider der Adligen und dem protzigen Staat der
     Huren im Dienst.
    Shakespeare würde an dem
     Ort sein, den er am meisten liebte: bei den Schauspielern hinter der Bühne.
     Von dort würde er die Zuschauer beobachten. Wahrscheinlich auch sie.
    Mit einer Trompetenfanfare
     begann die Vorführung und nahm das ganze Publikum nach Spanien mit.
    Kurz vor dem Ende des ersten
     Akts wurde ihr eine Nachricht in die Hand gedrückt. Sie sah sich um,
     doch sie konnte niemanden entdecken, der ihr Aufmerksamkeit schenkte. Dann
     las sie den Zettel. Nun werde ich zur Gruft meiner Ehre, hatte jemand
    

Weitere Kostenlose Bücher