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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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geschrieben, ein dunkles Haus, in dem allein der Todt gedeiht. Sie kannte
     die Worte nicht.
    Doch nur Augenblicke später
     torkelte einer der Jungen, die so gut darin waren, Frauen darzustellen,
     als geschändetes und zerzaustes Mädchen auf die Bühne und
     rief eben diese Worte ins Publikum. Im gleichen Moment spürte die
     Frau, dass sie beobachtet wurde. Sie suchte nach Shakespeares Ausguck
     hinter der Bühne, das Gefühl der Bedrohung kam aber nicht von
     dort. Langsam wurde ihr Blick zu einer der Logen rechts gezogen. Alle
     Gesichter waren ins Stück versunken.
    Dann bewegte sich jemand, und
     sie sah das weiße Haar und das schmale Gesicht des Grafen von
     Northampton. Ihre Blicke trafen sich, und mit einem bösartigen Lächeln
     nickte er ihr zu. Dann glitt sein Blick auf das Mädchen.
    Auge um Auge war der Kodex,
     nach dem er lebte. Ein Priester für einen Priester. Eine Tochter für
     eine Tochter.
    Sie packte ihre Tochter an
     der Hand. »Wir gehen.«
    »Aber Mama -«,
     protestierte das Mädchen schrill.
    »Wir gehen.«

 
    VIERTER AKT
    _________________________

 
    38
    Das Rosenholzkästchen,
     das Athenaide mir auf den Schoß gelegt hatte, war viktorianisch, aus
     knotigem Wurzelholz mit Perlmutt- und Ebenholzintarsien. »Ich
     verstehe das nicht«, murmelte ich verwirrt.   
    »Alles unter der Sonne
     ist käuflich«, sagte Athenaide mehr mit Bedauern als mit Stolz.
     »Alarmcodes, Kirchenschlüssel, sogar Polizisten. Gestern Abend
     haben wir unser Geld gut angelegt.«
    In dem Kästchen lag ein
     kleines, in schwarzes Leder gebundenes Buch. Ein Tagebuch. Ich wollte es
     herausnehmen, doch Athenaide legte ihre Hand auf meine. »Ich habe
     Matthew erzählt, was ich wusste. Doch jetzt müssen Sie zuerst
     uns auf den neuesten Stand bringen.«
    Ungeduldig erzählte ich
     von Westminster Abbey, Wilton House und Valladolid, doch von der Brosche
     an der Innenseite meiner Jacke sagte ich nichts. Ohne zu wissen warum,
     scheute ich mich, die Miniatur zu erwähnen. Athenaide sah mich prüfend
     an. Ich hatte das Gefühl, sie durchschaute mich. Trotzdem ließ
     sie, als ich mit meinem Bericht fertig war, meine Hand los und nickte.       
    Ich nahm das Buch aus dem Kästchen
     und schlug es auf. Mai 1881, stand dort in der zarten Handschrift, die mir
     bereits vertraut war. Ophelia Granville.
    »Ihre Erinnerungen«,
     sagte Athenaide, als ich mich vorbeugte und zu lesen begann.
    Neben mir rutschte Matthew
     ungeduldig auf dem Sitz herum. »Die ersten zehn Jahre kann ich in
     zwei Minuten zusammenfassen. Ihre Mutter starb, als sie noch klein
     war; ihr Vater war Arzt und leitete eine private Anstalt für Damen in
     der kleinen Stadt Henley-in-Arden. Die ›Gäste‹, wie Dr.
     Fayrer seine Patientinnen nannte, bewohnten in seinem großen alten
     Landsitz den einen Flügel. Den anderen teilte er sich mit seiner
     Tochter.«
    »Keine ideale Situation
     für ein Kind«, bemerkte Athenaide. »Deswegen nahm ihr
     Vater sie, sooft er konnte, mit ins benachbarte Stratford, wo sie mit den
     Pfarrerskindern spielte.«
    »Pfarrer Granville.
     Reverend J. Granvilles Kinder«, sagte Matthew.
    »Granville?«,
     fragte ich.
    »Mit den Töchtern
     des Pfarrers konnte sie nicht viel anfangen«, sagte Matthew. »Es
     gab noch einen älteren Sohn, der in Oxford studierte, doch ihr
     Liebling war Jeremy.«
    »Jem Granville war der
     Sohn des Pfarrers von Stratford?«
    »Anscheinend«,
     sagte Athenaide. »Eines Sonntags, als Ophelia zehn war, hatte der
     Pfarrer außer den Fayrers noch andere Gäste geladen. Darunter
     eine große, blauäugige Amerikanerin mit schwarzem Haar und weißen
     Strähnen. ›Überirdisch wie die Iren‹, beschreibt
     sie Ophelia. ›Wie eine Selkie-Frau oder eine Fee aus den Hügeln.‹
     Kaum hatte sie den Raum betreten, war sie sofort der Mittelpunkt des
     Salons. Mit ihrem brillanten System praktischer Philosophie, das sie aus
     Shakespeares Stücken herauslas, schlug sie die ganze Gesellschaft in
     den Bann. Sie sagte, Shakespeares Stücke seien unter dem Deckmantel
     der Unterhaltung von den klügsten Köpfen des elisabethanischen
     Zeitalters verfasst worden, die ihr Publikum zu würdigen Gefäßen
     der höheren Bildung machen wollten, damit sie die Tyrannei
     verabscheuten und stets nach Freiheit strebten.«
    »Delia Bacon«,
     sagte ich. »Sie muss es sein.«
    »›Die
     Shakespeare-Lady‹, wie Ophelia und Jem sie nannten«, sagte
     Matthew.
    Ophelia hatte Delia
    

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