Die Shakespeare-Morde
jakobäische
Magnum opus«, sagte Matthew feierlich.
»Sie besaß eine
Folio?«, platzte ich heraus.
»Kein Original«,
erklärte Athenaide. »Ein Faksimile. Aber ein besonders schönes.«
Ophelia setzt ihren Namen auf
die Seite gegenüber von Shakespeares Porträt. Darunter schreibt
sie die Widmung, die sie in der Folio von Valladolid gesehen hatte. Dann
legt sie die Ergebnisse ihrer Nachforschungen in Spanien in das Buch und
schickt es als verspätetes Hochzeitsgeschenk an Jem.
Sprachlos rieb ich mir die
Schläfen, während Matthew weiterblätterte. »Spulen
wir fünfzehn Jahre vor«, sagte er. In der Zwischenzeit war
Ophelias Vater gestorben, doch sie bleibt in dem alten Haus in Henley, im
Wald von Arden, wenn auch ohne die Verrückten. Ansonsten scheint
nicht viel passiert zu sein - als hätte sie sich mit einer Spindel in
den Finger gestochen und wäre in einen Zauberschlaf gefallen, dachte
ich. Und dann schreibt Jem, er habe gefunden, was er suchte.
Er könne es ihr nicht
bringen, sagt er. Noch nicht. Stattdessen will er, dass sie zu ihm kommt -
nach Tombstone im Territorium Arizona. Zuerst glaubt sie ihm nicht. Doch
dann findet sie heraus, dass er auch einen Professor aus Harvard
eingeladen hatte - und dass der Professor zugesagt hat.
»Auftritt Professor
Child«, sagte Matthew.
Ophelia packt die Koffer und
fährt mit dem nächsten Schiff nach Amerika. Als das Schiff in
New York einläuft, brechen die Tagebucheinträge ab.
Eine Seite weiter hatte
Ophelia von Neuem begonnen. »Für Jem«, stand oben auf dem
Blatt. Sie schrieb mit einer anderen Tinte, und ihre Schrift wirkte
gehetzt. Es war die Zusammenfassung der Geschichte, die sie in Delia
Bacons Papieren gefunden hatte. Die Geschichte der Howards.
Frances Howards Geschichte,
schrieb Ophelia, war keine Dreiecksgeschichte. Eher ein Dodekaeder!! Bevor
Frances Howard Robert Carr kennenlernte, doch nach ihrer Heirat mit Essex,
hatte ihre Familie sie auf ein weiteres Ziel angesetzt: auf Heinrich, den
Fürsten von Wales, den engsten Freund ihres Mannes.
Eine Zeit lang war der Fürst
so hingerissen von ihr gewesen, dass bereits Gerüchte einer königlichen
Hochzeit am Hof kursierten, bevor überhaupt das
Annullierungsverfahren ihrer ersten Ehe eingeleitet worden war. Dann aber
hatte Frances Robert Carr kennengelernt und war ihrem Herzen gefolgt, ohne
ihre Familie zu unterrichten. Irgendwann erfuhr der Fürst, wie
freigebig die Dame mit ihrer Zuneigung war, und beleidigte sie in aller
Öffentlichkeit.
»Die
Handschuhgeschichte«, sagte ich. »Ich hatte nicht gewusst,
dass Frances Howard die besagte Dame war.«
Ophelia reimt sich zusammen,
welche Auswirkung diese Wendung des Schicksals auf ›Cardenio‹
gehabt haben könnte. Denn in dem Stück ging es um eine loyale
Frau, die vom besten Freund ihres Mannes - dem Sohn des Herrschers - bedrängt
wurde. Als Allegorie auf Frances, Essex und den Fürsten verstanden, hätte
es Frances Howard gerechtfertigt und den Fürsten verdammt.
Doch dann hatten die Howards
herausgefunden, was dem Fürsten zu Ohren gekommen war: dass Frances
sich mit Robert Carr vergnügte. »Carr - Cardenio«, sagte
Athenaide wieder.
Sein Name im Stück
stellte das Anliegen der Howards auf den Kopf. Wie die Dinge lagen, musste
selbst ein Blinder mit Krückstock bei Cardenio an Carr denken und
damit auch an den eifersüchtigen Fürsten - zu einer Zeit, da
Frances immer noch durch Namen und Gesetz an Essex gebunden war. Statt sie
als loyale Ehefrau darzustellen, der übel mitgespielt worden war,
machte das Stück sie zum Gespött: als eine Frau, die mit zu
vielen Männern herumpoussierte.
Es musste aufgehalten werden.
Doch nichts geschah. Im
Januar 1613 wurde ›Cardenio‹ bei Hof aufgeführt. Und im
Juni desselben Jahres nahmen die King’s Men das Stück mit
über den Fluss auf die öffentliche Bühne: ins Globe
Theatre.
»Und zwei Wochen später«,
sagte ich, »brennt das Globe ab.«
»Lieber Himmel«,
sagte Matthew nach einem kurzen Schweigen. »Ich habe die zwei Daten
nie miteinander in Verbindung gebracht.«
»Aber warum?«,
fragte Athenaide bestürzt. »Warum hat Shakespeare ›Cardenio‹
am Globe aufführen lassen? Warum riskierte er den Zorn der Howards?«
»Warum hat er es überhaupt
geschrieben?«, hielt ich dagegen. »Es ergibt keinen Sinn. Was
ich neulich gesagt habe, gilt immer noch:
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