Die Shakespeare-Morde
Katherine Howard.
»Aber das ist Ros’
Name.« Plötzlich hatte ich ein flaues Gefühl im Magen.
»Ja, meine Liebe«,
sagte Athenaide.
Am Ende der Seite stand ein
letzter Satz:
Liebe find’t zuletzt
ihr Stündlein,
das weiß jeder
Mutter Kind.
Ich lehnte mich an Matthews
Schulter und begann zu weinen.
39
Als ich aufwachte, lehnte ich
immer noch an Matthews Schulter; er schlief noch. Athenaide saß auf
der anderen Seite der Kabine am Konferenztisch und las im schwachen Schein
einer Lampe ein Buch. Behutsam, um Matthew nicht zu wecken, setzte ich
mich auf. »Sie kannten sie«, sagte ich leise. »Ros.«
Ein trauriges Lächeln
spielte über Athenaides Lippen. Einen Augenblick lang sah sie wie
eine alte Hexe aus, der die Haut in losen Falten um den knochigen Schädel
hing. Doch ihre Augen strahlten hell. »Ja, ich kannte sie.«
Ich stand auf und ging zu ihr
an den Tisch. »Die Rosalind aus dem Tagebuch - Ophelias Tochter. Das
kann nicht meine Ros gewesen sein.«
»Nein.« Lächelnd
klappte sie das Buch zu. Sie hatte in Ophelias Tagebuch gelesen. »Nicht
ohne Jungbrunnen. Sie war die Großmutter von Ihrer Ros. Und meine
Großmutter.« Sie trank einen Schluck Wasser, dann stellte sie
das Glas vorsichtig, leise auf dem Tisch ab. »Ros war meine Cousine.
Und Ophelia - unter dem Namen Ophelia Howard - war unsere Urgroßmutter.«
Ich ließ mich in den
Sitz neben ihr sinken. »Ich habe ein Foto von Ihnen und Ros gesehen.
Sie hatten einen weißen Hut auf.«
Für einen kurzen Moment
hellte sich ihr Lächeln auf. »Das war ein fröhlicher Tag.
Als sie noch zu mir aufsah.« Sie faltete die Hände auf dem
Buch. »In vielen Dingen ähnelten wir uns sehr. Aber am Ende
hatten wir unterschiedliche Vorstellungen davon, was der richtige Weg zu einem guten Leben ist. Sie
wollte, dass ich ans Theater ging -ein Traum, den wir als Mädchen
teilten. Schließlich war unsere Großmutter eine große Bühnenschauspielerin
gewesen. Um 1910 war sie ein Star, auch wenn heute kaum noch einer ihren
Namen kennt. Ich erbte ihr Aussehen.« Sie seufzte. »Ros nicht.
Dafür hatte sie etwas, das ich nicht hatte, auch wenn sie es nicht
wahrhaben wollte: Talent. Mir fehlt das mentale oder emotionale
Durchhaltevermögen, das man braucht, um überzeugend in die Rolle
anderer zu schlüpfen. Ich bin kein Vagabund, kein fröhlicher
Landstreicher. Doch das muss ein großer Schauspieler sein. Ich
brauche ein Nest. Wurzeln.« Sie sah mich spöttisch an. »Und
Geld, schätze ich. Ich bin Geschäftsfrau. Geldgierig, hat Ros
mich genannt. Und noch schlimmere Dinge. Zusammen hätten wir eine große
Künstlerin ergeben. Doch als zwei waren wir eine Professorin und eine
Geschäftsfrau. Beide erfolgreich, nur eben nicht so, wie wir uns als
Mädchen erträumt hatten.
Wir haben uns in der Folger
Library getroffen, ein paar Tage vor ihrem Tod. Ich habe ihr den Hut
geschenkt, als Erinnerung an alte Zeiten. Eine Brücke aus der
Vergangenheit, wie ich hoffte. Ich dachte, sie würde ihn ins Regal
legen und ansehen. Liebe Zeit, der Hut ist noch aus den Fünfzigerjahren.
Aber ich hätte mir denken können, dass Ros ihn tragen würde.
Irgendwie passte es ja auch - bei ihrem Theaterdebüt. Selbst wenn es
nur die Generalprobe war.«
Ros’ Debüt, dachte
ich, und ihr letzter Auftritt.
»So bin ich auf Sie
gekommen«, sagte Athenaide.
»Über den Hut?«
Sie lachte. »Nein. Die
Folger-Konferenz. Ich wusste, dass Ros über Delia Bacon referieren würde,
und so habe ich mich über Delia schlau gemacht. Auge um Auge. Dr.
Sanderson hat mir Ophelias Brief an Emily Folger gezeigt, bevor er zu
Ihrem Treffen am Kapitol aufbrach. Die Grabszene war mir noch in frischer
Erinnerung; und zufälligerweise der einzige Hinweis, den ich entschlüsseln
konnte. Und dann war er plötzlich tot, und Sie und der Brief waren
verschwunden. Ich packte Matthew ein, der krank vor Sorge um Sie war, und
wir flogen nach Stratford und warteten. Wir waren ziemlich überrascht,
als Sie anriefen und anscheinend ganz woanders waren.
Da entschied ich, das Grab zu
öffnen. Um sicherzugehen … Das Ergebnis kennen Sie.«
Einen Moment lang starrten
wir schweigend das Tagebuch an, das auf dem Tisch lag.
»Sie hat Sie geliebt«,
sagte Athenaide. »Geliebt und beneidet. Ich glaube, mit dieser
Mischung konnte sie nicht umgehen. Wer könnte das
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