Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
Vom Netzwerk:
Drogen.«
    Sinclair sah Sir Henry an.
     »Ein Einstichloch, Singular, spricht auch nicht dafür.«
    »Aber wofür
     spricht es dann?«, fragte Sir Henry.
    »Sagen wir einfach, ich
     nehme Ms Stanleys Verdacht einer Fremdeinwirkung ernst.« Er wandte
     sich wieder an mich: »Und ich wäre sehr dankbar für Ihre
     Kooperation.« Er legte die Fingerspitzen aneinander und musterte
     mich.
    Angst wallte in mir auf. Am
     Nachmittag hatte ich Ros abblitzen lassen. Jetzt hätte ich alles für
     ein Gespräch mit ihr gegeben - ich wollte sie anschreien, ihr zuhören,
     mich umarmen lassen, so lange sie wollte -, doch sie war fort.
     Unwiederbringlich und endgültig fort, ohne ein Wort der Erklärung
     oder Entschuldigung. Ohne Abschied, und ohne einen letzten Rat.
    Nichts als eine Anweisung.
     Pass gut darauf auf hatte sie gesagt.
    Doch falls ihr Geschenk einen
     Wächter brauchte, dachte ich ärgerlich, wo wäre es sicherer
     als bei der Polizei? Insbesondere da die Polizei - oder zumindest dieser
     Inspektor - so scharf darauf war, etwas von mir zu bekommen.
    Aber Ros war nicht zur
     Polizei gegangen. Sie kam zu mir. Und bei Sinclair war ich mir alles
     andere als sicher. Wieder sah ich ihm direkt in die Augen und log. »Mehr
     weiß ich nicht.«
    Er schlug mit der Faust auf
     die Bank, so fest, dass Sir Henry und ich zusammenzuckten. »Bei uns
     in England ist es eine Straftat, bei einer Mordermittlung Informationen
     zurückzuhalten, Ms Stanley. Eine Straftat, die streng geahndet wird.«
     Dann kam er so nah, dass ich den Pfefferminzgeruch seines Atems riechen
     konnte. »Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    Mit klopfendem Herzen nickte
     ich.
    »Zum allerletzten Mal,
     ich bestehe darauf, dass Sie mir alles sagen, was Sie wissen.«
    Sir Henry stand auf. »Das
     reicht jetzt.«
    Sinclair setzte sich abrupt
     zurück, seine Kiefer mahlten. Dann entließ er uns mit einer
     knappen Handbewegung. »Sprechen Sie nicht mit der Presse, und
     verlassen Sie die Stadt nicht. Ich komme auf Sie beide zurück. Für
     heute gute Nacht.«
    Sir Henry nahm mich beim
     Ellbogen und führte mich hinaus. Wir waren schon fast an der Tür,
     als Sinclair mir hinterherrief: »Wenn es etwas zu finden gibt, Ms
     Stanley«, sagte er mit seiner sanften Stimme, »dann finden wir
     es, das versichere ich Ihnen.«
    Beim ersten Mal hatte es wie
     ein Versprechen geklungen. Diesmal war es eine Drohung.

 
    6
    Eilig verließ ich das
     Theater. Die Straße war mit Einsatzwagen der Polizei und der
     Feuerwehr vollgestellt. Sir Henry winkte ein Taxi heran. Als das Taxi
     hielt, küsste ich ihn auf die Wange und stieg ein. »Highgate«,
     sagte ich zum Fahrer, bevor ich richtig saß - und stellte dann erst
     fest, dass Sir Henry mitkam.
    Ich wollte protestieren, doch
     er hob die Hand. »Um nichts in der Welt lasse ich dich allein nach
     Hause fahren, Darling. Nicht heute Abend.« Er zog die Tür
     entschieden hinter sich zu, und das Taxi fuhr los. Ungeduldig betastete
     ich Ros’ Geschenk in meiner Tasche. Wie lange dauerte es noch, bis
     ich allein war und es öffnen konnte?
    Der Wind hatte aufgefrischt
     und jagte die Wolken über den Himmel. Über der Stadt hing der
     schwere, beißende Geruch des ausgebrannten Feuers. Von der Waterloo
     Bridge warf ich einen Blick nach Osten auf die Millennium Bridge, wo sich
     immer noch die Schaulustigen drängten. Links drehte das London Eye
     sein starres Auge langsam durch die Nacht; weiter im Westen strahlten der
     Big Ben und die Houses of Parliament wie goldene Bordüren. Dann waren
     wir über die Brücke und reihten uns in den Stadtverkehr ein. Ich
     beugte mich vor, als könnte ich das Taxi dazu bringen, schneller
     durch die schmalen Gassen zu fahren. Die Straßen stiegen stetig an,
     bis wir den Grat erreichten, der London im Norden begrenzte.
    Sir Henry hatte sich im Sitz
     zurückgelehnt und beobachtete mich mit verhangenem Blick. »Ein
     Geheimnis ist wie ein Versprechen«, sagte er leise. »Aber es
     kann auch zum Käfig werden.«
    Ich sah ihm in die Augen. Wie
     weit durchschaute er mich? Wie weit konnte ich ihm trauen? Ros hatte ihm
     vertraut - vielleicht nicht mit dem Geheimnis in der Schachtel, aber doch
     mit mir.
    »Ich würde dir
     gerne meine Hilfe anbieten«, sagte er. »Aber ich habe meinen
     Preis.«
    »Kann ich ihn mir
     leisten?«
    »Das hängt davon
     ab, ob du dir die Wahrheit leisten kannst.«
    Bevor ich es mir anders
     überlegen konnte, griff ich in die Tasche und zog die Schachtel
    

Weitere Kostenlose Bücher