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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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Sir Henrys Stadtvilla. Vor mir stand sein erschrockener
     Butler.
    »Seien Sie so lieb,
     Barnes, und sehen Sie nach, ob alle Türen und Fenster geschlossen und
     verriegelt sind«, sagte Sir Henry gelassen. »Und stellen Sie
     die Alarmanlage an. Dann hätten wir gern einen Cognac - den Hine
     Antique, würde ich sagen - und ein Feuer im Kamin in der Bibliothek.«
    *
    Die Bibliothek befand sich im
     oberen Stock, ein üppig mit weinrotem Samt und wilden grünen
     Pflanzenmotiven nach den Entwürfen von William Morris ausgestattetes
     Refugium. Auf den Oberflächen der Marmorbüsten und der Lederbände
     in den Eichenregalen spiegelte sich das Licht und schimmerte in den
     goldgeprägten Lettern der Bücher. Vor dem Kamin standen zwei
     tiefe Sessel; auf einem Tischchen dazwischen hatte Barnes den Cognac und
     zwei Schwenker bereitgestellt.
    Ich stellte mich ans Feuer.
     »Glaubst du an Geister?«
    Sir Henry machte es sich in
     einem der Sessel bequem. »Das war kein Geist, meine Liebe, der Ros
     mit einer Nadel gestochen hat. Oder den Taxifahrer dafür bezahlt hat,
     dich im Auge zu behalten.«
    Verblüfft drehte ich
     mich um. »Deswegen haben wir im Claridge’s einen anderen Wagen
     genommen?«
    »Allwissenheit«,
     sagte Sir Henry, während er den Cognac in die Gläser schenkte,
     »mag beim lieben Gott eine feine Sache sein, aber bei jedem anderen
     sollte sie uns misstrauisch machen. Du hast dem Taxifahrer weder Straße
     noch Hausnummer genannt. Ebenso wenig wie ich. Und doch kannte er deine
     Adresse.«
    Ich tastete nach dem Sessel
     hinter mir und setzte mich auf die Kante. Der Taxifahrer hatte meine Straße
     gekannt - er war langsamer geworden und beinahe vor meiner Haustür
     stehen geblieben. Wieder hörte ich seine gepresste Stimme - Sie
     wollen doch nicht nach Hause? War er enttäuscht? Nervös? Hatte
     er Angst? Ich war so in Gedanken gewesen, dass es mir nicht einmal
     aufgefallen war. Ein Schauer lief mir über den Rücken. »Da
     war jemand in meiner Wohnung.«
    Sie Henry reichte mir den
     Cognacschwenker. »Wirklich? Das würde mich nicht überraschen.
     Der Taxifahrer war nur ein Scherge, meine Liebe. Kein Drahtzieher. Und er
     war überaus enttäuscht, dass er sein Paket nicht ordnungsgemäß
     abliefern konnte. Was bedeutet, dass ein Drahtzieher dahintersteckt. Oder
     zumindest irgendein zweitklassiger Bösewicht, dem er Bericht
     erstatten muss.« Bedächtig nahm er sein Glas in beide Hände
     und schwenkte die bernsteinfarbene Flüssigkeit hin und her. »Du
     bist in Gefahr, Kate. Das jedenfalls ist echt.« Dann holte er tief
     Luft und trank einen kleinen Schluck. Sein ganzer Körper schien
     aufzuseufzen. »Jungs trinken Claret, Port trinken Männer: Doch
     wer ein Held sein will, muss Cognac trinken. Samuel Johnsons Worte, der
     weise alte Schwerenöter … Schauen wir uns deine Brosche noch
     einmal an.«
    Ich holte die Brosche hervor.
     Sie lag beinahe schüchtern in ihrer Schachtel. »Ich sehe den
     roten Faden einfach nicht. Wie soll ich bloß den Weg finden, den die
     Brosche mir weist?«
    Sir Henry lächelte.
     »Der Ariadnefaden wäre die bessere Analogie. Aber vielleicht
     solltest du damit anfangen, dass du sie trägst. Darf ich?« Als
     er die Brosche aus der Schachtel nahm, fiel eine Karte heraus, schwebte
     einen Moment lang in der Luft, dann segelte sie geradewegs auf den Kamin
     zu. Sir Henry sprang auf und rettete sie vor dem Feuer, dann überreichte
     er sie mir.
    Es war ein kleines Rechteck
     aus festem, cremefarbenem Papier, das an der unteren Kante gelocht war.
     Über dem Loch standen ein paar Zeilen in lockerer, fließender
     Handschrift. Während Sir Henry die Brosche an mein Revers heftete,
     las ich laut vor:
     
    Herzlichen Glückwunsch,
     kecke Kate, dass Du die öde Frömmigkeit über Bord geworfen
     hast, um lang begrabne Wahrheiten in unserem geliebten jakobäischen
     Magnum opus ans Licht zu bringen. Ich wette, das Publikum wird Dich bald
     ebenso bewundern.
    Süßes der Süßen,
    R.
     
    »Jakobäisch?«,
     fragte Sir Henry scharf.
    »So steht es hier.«
     Jakob I. hatte England während der zweiten Hälfte von
     Shakespeares Karriere regiert. So weit, so gut, doch das Stück, von
     dem Ros sprach, wie ich annahm, war ›Hamlet‹, und obwohl
     ›Hamlet‹ unbestreitbar ein Magnum opus war, ein jakobäisches
     war es ganz sicher nicht. ›Hamlet‹ war eindeutig noch zu
     Elisabeths Zeiten geschrieben - das letzte und größte aller
     elisabethanischen

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