Die Shakespeare-Morde
Und von dem Brief aus Wilton House, dass er
irgendeine Art von Beziehung zu Shakespeare hatte. Aber das alles macht
ihn noch lange nicht zum Dichter. Vielleicht war er einfach ein Förderer.«
»Was brauchst du denn
noch?«
»Etwas Eindeutiges.«
Er stöhnte. »Und
wo könnte man so etwas finden?«
»An irgendeinem Ort, wo
vierhundert Jahre lang keiner nachgesehen hat.«
»Irgendwelche Ideen?«
Ich dachte nach. »Man müsste
an den Nebenschauplätzen suchen. Sekundärquellen. Klatsch
vielleicht. Aber nicht über Shakespeares Stücke. Das wurde alles
längst zerpflückt und analysiert.«
»Was dann?«
Ȇber die
Entstehungsgeschichte der King-James-Bibel zum Beispiel.«
Er seufzte. »Die
Signatur in den Psalmen.«
»Vielleicht gibt es
Hinweise, wer an der Übersetzung mitgearbeitet hat, vor allem an
Psalm 46.«
»Das ist nicht bekannt?
Nicht einmal du weißt das?«
»Nein. Die Übersetzer
haben ihre Beiträge anonym beigesteuert. Anscheinend mit Absicht.
Selbst ihre Aufzeichnungen haben sie verbrannt. Die Bibel ist Gottes Werk,
nicht das des Menschen, argumentierten sie. Und erst recht nicht das eines
bestimmten Menschen. Aber vielleicht ist hier oder da ein Hinweis
durchgerutscht und hat die Jahrhunderte überdauert.«
»Ich kümmere mich
darum«, hatte Ben gesagt. Er war nicht sehr mobil, und außerdem
konnte er keine jakobäischen Handschriften lesen, sodass ich keine
großen Hoffnungen auf ihn setzte. Aber wenn er ein Projekt brauchte,
um keinen Krankenhauskoller zu bekommen, war es mir recht.
Jetzt saß er hier auf
dem Bühnenrand und behauptete, er hätte etwas entdeckt.
Ich stellte mein Glas ab.
»Was?«
Ben überreichte mir die
Fotokopie eines Briefs. Ich sah sie mir an. Ein Brief, der in Secretary
Hand geschrieben war.
Ben lächelte. »In
der Folger-Bibliothek waren sie sehr hilfsbereit, nachdem sie ihre Sachen
zurückbekommen hatten. Sie haben mir sogar beigebracht, jakobäische
Handschriften zu lesen.«
»Und dort hast du das
hier gefunden?«
Er schüttelte den Kopf.
»In einer Privatsammlung«, sagte er vage. »Es ist ein
Brief von Lancelot Andrewes, dem Dekan von Westminster und Bischof von
Chichester, an einen Freund im November 1607. Ein lustiger Name für
einen Bischof - Lancelot.«
Mehr verriet er nicht, und so
begann ich selbst zu lesen. Hauptsächlich ging es um das
Katholikenproblem in Warwickshire. Doch ein Absatz machte mich stutzig.
Der Bischof erwähnte den Rektor des Emmanuel College in Cambridge,
Laurence Chaderton, und die eben fertiggestellte Übersetzung des
Psalters für die Bibel des Königs. Chaderton war einer der
wenigen Puritaner, die an dem Projekt mitwirkten; der Psalter war seinem
Komitee zugeteilt.
Wie der Bischof seinem Freund
schrieb, hatte Chaderton einen erbitterten Beschwerdebrief verfasst, in
dem er beklagte, der König habe die sorgfältige Übersetzung
des Psalters durch sein Komitee genommen und einem Haufen Dichter
vorgeworfen. Zum Aufpolieren, wie der Bischof Chadertons entrüstete
Worte zitierte - als stünde dichterische Politur im levitischen Sündenregister
mehrere Stufen unter Masturbation, Sodomie und Hexerei. Bischof Lancelot
hatte Chaderton zu beruhigen versucht. Den Dichtern sei es verboten, die
Übersetzung zu verpfuschen - doch was Rhythmus und Klang anging, müsse
er dem König recht geben. Die Psalmen sollten Lieder sein, in der
Übersetzung jedoch hatten sie wie Predigten geklungen. Staubtrockene
Predigten. Auch der König und der Bischof seien für eine
korrekte Übersetzung, aber es spreche nichts dagegen, dass diese
angenehm im Ohr klingen dürfe.
Anscheinend ließ sich
Chaderton nicht so leicht besänftigen und erhob eine weitere Anklage:
Sie haben ihr Werk signiert.
Das, schrieb der Bischof, wäre
tatsächlich Blasphemie gewesen, wenn es wahr wäre, doch er habe
den ganzen Psalter durchgeblättert und keinen Hinweis auf eine
Signatur gefunden. Chaderton, klagte er, wäre besser dran, sich um
die Bücher zu kümmern, deren Übersetzung noch ausstünde,
statt Unsinn über jene zu verbreiten, die bereits fertig waren. Falls
der lästige Rektor nicht diskret sein sollte, säße ihm,
dem Bischof, der König im Nacken und würde die Politur am Ende
selbst übernehmen. Bei den Dichtern stünde es ihm wenigstens
frei, etwas allzu Grauenhaftes abzulehnen.
Im Gegensatz zu Chaderton
Weitere Kostenlose Bücher