Die Shakespeare-Morde
Rat folgend,
hatten Nola und Memo Jiménez das Manuskript auf einer privaten
Auktion versteigert, für eine ungenannte Summe, die für wilde
Spekulationen sorgte - enttäuschende zehn Millionen Dollar? Oder war
es doch eine Fälschung, die für eine halbe Milliarde den
Besitzer wechselte? Wie gewöhnlich lag die Wahrheit irgendwo in der
Mitte. Das Manuskript landete in der gemeinsamen Obhut der British Library
und der Folger-Bibliothek und wurde, wie Persephone, Jahr für Jahr
vom einen Haus zum anderen geschickt.
Die gestohlenen Ausgaben der
First Folio Edition fand man in Sir Henrys Bibliothek und gab sie an das
Globe und an Harvard zurück. In der Harvard-Ausgabe fehlte eine Seite
aus ›Titus Andronicus‹. Es war die Seite, die ich bei mir
trug, und ich gab sie zurück. Währenddessen zerbrach sich der
Rektor des Royal College in Valladolid den Kopf darüber, was er mit
der Folio tun sollte, die Derby an William Shelton geschickt hatte.
Die aufregenden Ereignisse
hatten auch ihre Schattenseiten. Der Tod von Sir Henry Lee und Professor
Matthew Morris, so kurz nach dem von Ros, erschütterte die
Shakespeare-Gemeinde. Die offizielle Stellungnahme zu den Morden, die
Sinclair auf einer weltweit übertragenen Pressekonferenz abgab, ließ
den Aufschrei zu einem wahren Wutgeheul anschwellen. Sir Henry und Matthew
hatten gemeinsam fünf Morde geplant, dann hatte Sir Henry Matthew
umgebracht. Nur Sir Henrys Tod war - darauf beharrte Sinclair - ein Unfall
gewesen.
Zum ersten Mal seit
Menschengedenken war die Shakespeare-Professur in Harvard unbesetzt. Das
Rascheln der eingesandten Lebensläufe hörte sich an, als hätten
sich alle Wälder in England und Nordamerika auf den Weg gemacht.
Einst hatte ich mich glücklich geschätzt, mit Sir Henry arbeiten
zu können, doch nun kamen heimliche Anfragen, wen ich für seine
Rolle im ›Hamlet‹ in Betracht zog, von Stars auf der ganzen
Welt. Anscheinend wurde die Rolle von Hamlets Vater allgemein als
Vorsprechen für Shakespeares Quixote erachtet.
Wie geht es dir, Kate? Wo
sollte ich anfangen?
»Gut«, sagte ich.
»Es geht mir gut. Danke.«
Ben lächelte. »Ein
bisschen knapp, aber trotzdem schön, das zu hören.«
»Und du? Wie geht es
dir?«
Nachdenklich betrachtete er
das Sprudeln in seinem Glas. »Ich habe etwas entdeckt, Kate.«
Ich schluckte. Ros’
Worte. »Das ist nicht komisch.«
»Es sollte nicht
komisch sein.« Er sah mir in die Augen. »Ich meine es ernst.«
Ich sah ihn an. Während
der ganzen Zeit im Krankenhaus und später in der Reha hatte er keinen
Besuch empfangen. Wir hatten nur ein paar Mal telefoniert. Die Briefe aus
der Houghton-Bibliothek und Wilton House - Jems Brief an Professor Child
und Wills Brief an den süßen Schwan - fanden in wenigen Tagen
zu ihren Besitzern zurück, ohne dass Fragen gestellt wurden.
Zumindest bis ich fragte. Aber ich erfuhr nur, dass Ben inmitten des Chaos
in Helsingor Sir Henry den Chambers-Band abgenommen und ihn mitsamt den
Briefen irgendwo im Haus versteckt hatte. Wie er sie zurückbekam,
sagte er mir nicht. Dafür bat er mich um die Brosche mit der
versteckten Miniatur und beharrte so vehement darauf, dass ich schließlich
einwilligte. Also kehrte auch die Brosche nach Hause zurück und
landete mit Ophelias Brief an Mrs Folger in der Folger-Bibliothek.
Unser letztes Telefongespräch
hatte kurz vor Probenbeginn stattgefunden, ungefähr vor sechs Wochen.
Ich hatte eine Verbindung zwischen den Howards und dem Grafen von Derby
entdeckt und rief ihn aufgeregt an.
Er klang müde, doch dann
wurde er neugierig. »Was für eine Verbindung?«
»Die älteste
Verbindung der Welt. Eine Hochzeit. Derbys Tochter heiratete einen Cousin
von Robert Carr, dem Grafen von Somerset, der inzwischen mit Frances
Howard verheiratet war.«
»Du machst Witze.«
»Er hatte sogar den
gleichen Namen, doch er bevorzugte die schottische Schreibweise - Robert
Kerr. Das war 1621, ein Jahr, bevor Frances aus dem Tower entlassen wurde.
Zwei Jahre, bevor die First Folio erschien.«
Nun, da sie beynahe zur
Familie gehörtstand in dem Brief aus Wilton House.
»Das ist es, wonach du
gesucht hast, oder? Die Verbindung zwischen Derby und den Stücken.«
Ich war nicht ganz
einverstanden. »Die Hochzeit erklärt nur, dass er mit den
Howards verwandt war. Von der Folio in Valladolid wissen wir, dass er
William Shelton kannte.
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