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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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schrecklich eingebildet, aber ungefähr das Gleiche
     hat Sir Henry auch zu mir gesagt.«
    Ben sah mir in die Augen.
     »Sie nannte dich ihr goldenes Mädchen. Unter anderem.«
    Ich beugte mich vor. »Hast
     du dich je gefragt, welche Rolle in den Sonetten sie dir zugestand?«
    »Das war nicht nötig.
     Sie hat mir die dunkle Dame angeboten«, sagte er mit einem
     ironischen Grinsen. »Wobei ich die Rolle ganz und gar nicht weiblich
     spielen müsse, wie sie mir versicherte. Die Rolle des
     Spielverderbers. Des Störenfrieds. Ziemlich passend für einen
     Soldaten.«
    Ich lachte. »Was hast
     du geantwortet?«
    Er trank einen Schluck.
     »Ich sagte ihr, ich bin kein Schauspieler und ich würde mich
     auch nicht an ein fremdes Skript halten.«
    »Und sie antwortete:
     ›Nicht mal an Shakespeares?‹«
    Er stutzte. »Sie hat
     dir davon erzählt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
     »Ich habe einmal das Gleiche zu ihr gesagt. Und das hat sie
     erwidert.«
    Er lachte. »Und was war
     deine Antwort?«
    »Ich sagte ihr, dass
     ich lieber meine eigene Geschichte schreiben wollte. Wahrscheinlich wäre
     sie nicht so schön, aber sie würde mir gehören.«
    »Und, wie entwickelt
     sie sich?«
    »Das weiß ich
     noch nicht genau. Aber wenn ich sogar Shakespeares Weg ausschlage, werde
     ich erst recht nicht dem von Ophelia oder Delia folgen.«
    Er nickte, und ein
     schelmisches, hoffnungsvolles Grinsen huschte über sein Gesicht.
     »Hast du je an eine Gemeinschaftsarbeit gedacht?«
    »Was für eine
     Geschichte schwebt dir vor?«
    »Die älteste
     Geschichte der Welt«, sagte er. »Junge trifft Mädchen.«
    »Wie wäre es mit Mädchen
     trifft Jungen?«, gab ich lächelnd zurück.
    Er hob das Glas.
    Ich zögerte einen
     Augenblick, dann stieß ich mit ihm an. »Auf eine neue
     Geschichte«, sagte ich.
    ENDE

NACHWORT
    Eines Herbstabends zu Beginn
     meines Graduiertenstudiums in Harvard saß ich im Hinterzimmer der
     Child Library, der Zufluchtsstätte des English Department im obersten
     Stock der Widener-Bibliothek, und blätterte alte Bücher durch,
     als ich auf vier Bände stieß: ›The Elisabethan Stage‹
     von E. K. Chambers aus dem Jahr 1923. Ich schlug jeden einzelnen auf. Die
     Bände steckten voller Informationen - und Details, bei denen ich oft
     nicht wusste, was ich damit anfangen sollte, wie zum Beispiel, dass
     »viele elisabethanische Schauspieler halbe Akrobaten [waren] und
     zweifellos an einem Drahtseil fliegen« konnten. Dann, am Ende des
     dritten Bandes, fand ich das Kapitel über Shakespeares Bühnenwerk,
     das mit dem kurzen Abschnitt »Verschollene Stücke«
     endete.
    Ich wusste, dass die Mehrheit
     der Dramen der englischen Renaissance nicht überlebt hatte, und so
     nahm ich - vage - an, dass auch von Shakespeare manches Stück
     verschollen war. Was mich jedoch überraschte, war, dass Chambers
     Fakten zu Shakespeares verschollenen Stücken zu kennen schien. Hier
     hatte ich schwarz auf weiß zwei Titel vor mir, und im Fall von
     ›Cardenio‹ sogar die Grundzüge der Handlung.   
    Ich begann mich zu fragen,
     wie es wäre, ein solches Stück zu finden. Wo könnte sich so
     ein Ding verstecken? Wie würde sich der Augenblick seiner Entdeckung
     anfühlen? Und wie würde der Fund mein Leben beeinflussen -
     abgesehen vom sofortigen Eintritt von Reichtum und Ruhm?       
    Der erste Ort, an dem man
     nach Shakespeares verschollenen Stücken suchen würde, wären
     natürlich Bibliotheken und historische Stätten in England.
     Andererseits - hätten sie die ganze Zeit an einem vorhersehbaren Ort
     gelegen, wären sie nicht längst gefunden worden? Ich begann mir
     in der egoistischen Welt meiner Tagträume auszumalen, wo außerhalb
     Englands ein Shakespeare-Stück verloren gegangen sein könnte -
     am besten an einem Ort, wo ich es finden konnte, wie New England (oder
     irgendwo an der Ostküste zwischen Boston und Washington, D. C.) oder
     in der Prärie im Südwesten der Vereinigten Staaten. Manchmal,
     wenn ich zufällig im Hinterland von New England unterwegs war,
     durchstöberte ich sogar in Antiquitätenläden und alten
     Scheunen die Bücherkisten. Doch kein Ramschverkäufer hatte einen
     Shakespeare-Vers übersehen, geschweige denn ein ganzes Manuskript.
    Im Laufe der Zeit sah ich
     ein, dass ich nie über eins der Stücke stolpern würde, aber
     dass es Spaß machte, eine Geschichte daraus zu machen, denn so
     konnte ich bestimmen, was passierte und wem. Und dann dachte ich -

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