Die Shakespeare-Morde
ein
Tourist sich ein, das Schild »Theaterprobe - bitte nicht stören«
gelte für alle außer für ihn, und schaffte es, ein
Schlupfloch ins Globe zu finden. Ich rief: »Sie haben Ihr Stichwort
verpasst. Die Schauspieler sind fort.«
»Die Schauspieler waren
großartig«, antwortete eine vertraute Stimme, die wie Bronze
und Schokolade in meinen Ohren klang. »Aber der Applaus ist für
dich.« Ben stützte sich an der Säule ab und richtete sich
auf.
Ich starrte ihn an wie einen
Geist.
»Verzeih mir, dass ich
mich so hereingeschlichen habe«, sagte er dann, »aber ich
hatte noch nie einen Regisseur bei der Arbeit gesehen, und ich war
neugierig.« Er hinkte leicht, als er auf mich zukam. »Ist es möglich,
dich zu einem Drink zu überreden, Frau Professor?«
Ich lächelte. »Hast
du schon mal daran gedacht, vorher anzurufen, wenn du mich sehen willst?«
»Sehen wäre mir
ein bisschen zu wenig - ich habe eine Flasche Champagner dabei, die nur
zum Ansehen viel zu schade ist. Ich hatte mehr an ein Rendezvous gedacht.«
Er humpelte an mir vorbei, auf die Bühne zu. Dann ließ er sich
vorsichtig auf der obersten Stufe der Bühnentreppe nieder, zauberte
zwei Sektkelche und eine Flasche hervor und begann die Flasche zu öffnen.
Ich folgte ihm die Stufen
hinauf. »Wenn du Champagner mitbringst, kannst du es nennen, wie du
willst.«
Mit einem leisen Ploppen zog
Ben den Korken und schenkte ein. »Prost«, sagte er und reichte
mir ein Glas.
»Was feiern wir?«
Er lächelte. »Dass
wir uns sehen?«
Ich nickte und trank einen
Schluck. Der blasse Champagner schmeckte metallisch und köstlich.
»Wie geht es dir, Kate?«
Ich blinzelte. Ben hatte fünf
Monate in der Reha hinter sich, und er fragte mich, wie es mir ging? Doch
in Wirklichkeit wusste ich gar nicht, wo ich anfangen sollte. Die Stunden
nach Sir Henrys Tod hatten mit dem Knattern der Rotoren begonnen, Schreien
von beiden Seiten und der nervenzerreißenden Suche in der
Finsternis, bis man Ben endlich lebendig aus der Höhle zog. Einen Tag
später holten sie auch Matthews Leichnam herauf.
Sehr viel später war
ich, mit Nola und Memo Jiménez’ Segen, in die Höhle zurückgekehrt.
Ich wurde von einem Mitarbeiter der Fisch-und Wildschutzbehörde (auf
der Suche nach der mexikanischen Freischwanzfledermaus), fünf Archäologen
- zwei von der Universität von Arizona und je einem aus Mexico City,
London und Salamanca (auf der Suche nach Spuren der Konquistadoren und
Relikten aus der jakobäischen Ära) - und einem Höhlenforscher
der Arizona State Parks begleitet. Wie ich mir gedacht hatte, waren die
Steinhaufen in der trockenen Höhle die Gräber von fünf
spanischen Soldaten.
Das sechste, unbedeckte
Skelett war das eines Franziskanermönchs. In seinem Kruzifix fand man
eine Miniatur von Hilliard: das exquisite Porträt eines kleinen Mädchens
mit rostbraunem Haar, gesäumt von der gleichen verschnörkelten
goldenen Inschrift wie die auf dem Hilliard aus der Folger-Bibliothek.
Dein ewiger Sommer doch soll nie verrinnen. Andere Hinweise auf die
Identität des Mannes gab es nicht, aber der einzige englische Pater,
von dem man wusste, dass er in diesem Teil der Welt verschwunden war, war
William Shelton.
Als wir die Höhle durch
den Eingang im Talkessel betraten, passierten wir die Fledermäuse und
die Tropfsteinhöhle, die Jem Granville zur Gruft geworden war. In
einiger Entfernung von der Leiche fanden wir etwas, das wohl seine Papiere
gewesen waren, doch sie waren zu einem unleserlichen Klumpen vermodert. In
der erhabenen Schönheit der Tropfsteinhöhle schien es mir
blasphemisch, einem Bündel Papiere nachzutrauern.
Nola und Memo Jiménez
gaben die Entdeckung des Manuskripts bei einer Pressekonferenz bekannt,
und über Nacht fand ich mich im Rampenlicht wieder. Die Nachricht
schlug in der internationalen Presse wie eine Bombe ein, doch schon bald
begann die Welt, oder zumindest Teile davon, zu akzeptieren, dass der
Pater aus der Höhle ein nach Spanien übergelaufener englischer
Priester namens William Shelton war, der ›Don Quixote‹ und
ein Manuskript von Shakespeares lange verschollenem Stück bei sich
trug. Was mit Ophelias Tagebüchern geschah, blieb in der Schwebe,
solange das Gezerre zwischen Athenaide und der Kirche von England zu
keinem Ergebnis fand. Die Briefe aus Wilton House waren nicht ans Licht
gekommen.
Athenaides
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