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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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seit langer Zeit. Liebe war niemals verschwendet. Lieb’
     ist nicht Liebe, wenn sie Zerstreuung irrend kann zerstreuen …
    Ihr Gesicht schwebte lächelnd
     heran, und er spürte, wie sein Herz hüpfte und wild zu klopfen
     begann.
    »Aber wer ist sie?«,
     hörte er seine jugendliche Stimme fragen.
    »Sie ist, wer sie ist«,
     antwortete eine andere Stimme. »Der Schönheit Rose.«
    Der Rest war Schweigen.

 
    FÜNFTER AKT
    _________________________

 
    46
    An einem kalten
     Dezembernachmittag, fünf Monate nach Ros’ Tod, stand ich wieder
     im Globe, viel früher, als ich erwartet hatte, und probte den
     ›Hamlet‹.
    Das Theater strahlte wieder
     in seiner alten Pracht. Im Sommer würde es in noch größerer
     Pracht erstrahlen, wenn sich nach vierhundert Jahren zum ersten Mal der
     Vorhang für ›Cardenio‹ hob - am 29. Juni. Man hatte
     mich gebeten, die Regie zu führen.
    Doch Athenaide hatte
     entschieden, dass zuerst ›Hamlet‹ .gespielt werden sollte.
     Und der einzige Termin, an dem Jason Pierce zur Verfügung stand, um
     den melancholischen Prinzen zu mimen, war im Dezember. Die Idee, mitten im
     Winter ein Stück im Globe zu geben, kam mir völlig verrückt
     vor, doch Athenaide war anderer Meinung. »Elisabeths Volk ging das
     ganze Jahre über ins Theater«, sagte sie. »Warum nicht
     wir? Sind wir heute so verweichlicht?« Und dann stellte sie den
     Scheck aus, mit dem sie die Gedenkaufführung für Ros sponserte.
     Was den Ticketverkauf anging, hatte sie recht behalten. Die ganze
     Spielzeit war ausverkauft, und bis zur Premiere waren es noch zehn Tage.
    Als die Schauspieler nach der
     Probe von der Bühne defilierten, genoss ich einen kostbaren Moment
     allein im Theater. Im Dezember in London ging die Sonne früh unter,
     kaum nachmittags, was die Uhrzeit anging. Das Licht, das schräg
     über das strohgedeckte Dach fiel, blendete mich, und ich beschirmte
     die Augen mit der Hand. Zu Shakespeares Zeiten hatte das Freilichttheater
     wegen der frommen Sitten nachmittags
     stattgefunden und war noch vor Einbruch der Dämmerung zu Ende. Als
     ich zur Bühne hinaufblickte, kamen mir Zweifel. Die Säulen des
     Herakles zum Beispiel: In der Mittagssonne leuchteten sie schamlos
     scharlachrot. Unter grauem Himmel nahmen sie den Braunton von
     Vollblutpferden an - kühl in ihrer aristokratischen Arroganz. Den
     zynischen Schlemmer erinnerten sie an zwei Porterhouse-Steaks. Winters wie
     sommers aber war es erst bei Sonnenuntergang, dass die Säulen in
     ihrer wahren Pracht erstrahlten. Dann waren sie, und das ganze Theater
     darum herum, wahrlich shakespearisch. Oder biblisch. Oder beides - wenn
     sich die Schatten zu flüsternden Dämonen verdichteten und die Säulen
     des Herakles sich wie brennende Blutströme durch das Dämmerlicht
     wälzten.
    Schaudernd zog ich die Jacke
     enger um mich und dachte an die Ereignisse des Sommers.
    Eine Woche nach seinem Tod
     war Sir Henry gefunden worden. Ein paar Hundert Meter weiter fand man die
     Reste der Satteltasche im Canyon, halb unter Treibgut verborgen, doch ihr
     Inhalt war für immer verloren.
    Am Ende hatte Sir Henry fast
     genau erreicht, was er wollte. Er hatte das verschollene Stück ans
     Licht gebracht, aber den Beweis, der Shakespeares Identität hätte
     aufklären können, hatte er zerstört. Dafür hatte er
     sein Leben geopfert.
    Und das Leben von sechs
     anderen. Maxine, Dr. Sanderon, Mrs Quigley, Graciela, Matthew - und Ros. 
    Athenaide hatte ›Hamlet‹
     dem Andenken an Ros gewidmet, doch meine Hommage würde ›Cardejiio‹
     sein. Bis jetzt hatte ich ihr die Spielchen immer noch nicht ganz
     verziehen. Ebenso wenig wie ihren Tod, sagte eine kleine Stimme in meinem
     Innern. Ich betastete die Kopie von Ophelias Brosche in meiner Tasche, die
     ich wie einen Talisman stets bei mir trug. Lass es gut sein, hatte Maxine
     zu meiner Wut und meinem Bedauern gesagt. Lass sie gehen.
    Langsam trat ich von der
     Galerie in den Hof und blickte zur leeren Bühne. »Gute Nacht,
     mein Fürst«, sagte ich laut. Ich wusste selbst nicht, zu wem
     oder zu was ich sprach. Vielleicht meinte ich das Theater selbst. »Und
     Engelscharen singen dich zur Ruh’.«    
    Ein Klatschen zerriss die
     Stille, und ich fuhr auf dem Absatz herum.
    Im Schatten neben der Tür
     lehnte ein Mann und applaudierte. So viel zu einem Augenblick allein.      
    Unbefugte Besucher im Globe
     brachten mich zur Verzweiflung. Mindestens einmal die Woche bildete

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