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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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der blutigen Tyrannin Zeit? Man macht Kinder, um sich
     vor der Zeit zu schirmen.« Er nahm mir das Buch aus der Hand und blätterte
     durch die ersten Seiten. »Aus - wo ist es? Hier.« Mit dem
     Finger zeigte er auf das Gedicht. »Sonett 16.«
    Dann blätterte er ein
     paar Seiten weiter.
    »Das ist schon schlimm
     genug, aber das zweite Zitat - das ist wirklich zum Heulen, wenn man darüber
     nachdenkt. Was für ein Mann schüttelt sich ein Meisterwerk wie
     ›Romeo und Julia‹ aus dem Ärmel, doch zu seinem
     Geliebten ›Ich liebe dich‹ zu sagen, davor hatte er Angst?
     Solche Angst, dass seine einzige Verteidigung gegen die verdammte honigzüngige
     Rivalin war, ihn zu bitten, ›Lies meine Bücher‹?-
     
    Dann mögen meine Bücher
     mich erklären,
    Die stummen Boten der
     beredten Brust,
    Die Liebe flehn und ihren
     Lohn begehren
    Mit besserm Wort, als
     Lippen je bewußt.«
     
    Seine Stimme füllte den
     Raum mit einem Verlangen, das sich fast ins Unerträgliche steigerte,
     bevor es langsam erstarb.
    An seine Stelle rieselte der
     feine Sand des Zweifels. Die Brosche war ein Geschenk, mehr nicht. Ich
     betrachtete die kleine Karte, die mit der Schrift zu ihm zwischen uns lag. 
    »Es ist eine Tragödie,
     auf die Kürze eines Sonetts zurechtgestutzt«, sagte Sir Henry.
     »Schon nach dreiundzwanzig Gedichten ist er mitten in -«
    Der Cognac brannte in meiner
     Kehle. »Was hast du gerade gesagt?«
    »Er ist mitten in -«
    »Nein. Die Zahl.«
    »Dreiundzwanzig. Hier.«
     Er hielt mir das Buch hin.
    »Es geht nicht um die
     Worte«, sagte ich, und plötzlich war ich aufgeregt. »Ganz
     gleich, wie schön sie sind. Es sind die Zahlen. Die Nummern der
     Sonette.«
    »Sechzehn und
     dreiundzwanzig?«
    Ich nahm Ros’ Karte,
     hielt sie ihm umgedreht hin und deutete auf das Postskriptum. »Siehst
     du die Buchstaben da unten?«
    Stirnrunzelnd betrachtete er,
     was ich gesehen hatte: den unleserlichen Schnörkel, den wir beide für
     das s des Ps. gehalten hatten und der sich als ordentliches kleines a
     entpuppte, gefolgt von einem d.
    »A. D.«, las er
     laut. »Anno Domini. Im Jahre des Herrn … Ich weiß
     nicht, wohin uns das führen soll.«
    »Zurück in die
     Zeit«, sagte ich kurz. »Lies die Zahlen als Datum.«
    »Sechzehn
     dreiundzwanzig … Was soll das heißen? Außer dass es
     sechs, nein, sieben Jahre nach Shakespeares Tod ist? Wir reden hier doch
     noch von Shakespeare, oder?«
    »Sein jakobäisches
     Buch der Bücher.« Ich nickte. »Das Magnum opus, das alle
     anderen einschließt. Aus dem Jahr 1623.«
    »Mein Gott«,
     sagte Sir Henry. »Die First Folio Edition.«

 
    8
    Wir starrten einander an. Die
     First Folio Edition war die Erstausgabe von Shakespeares gesammelten
     Werken, posthum veröffentlicht im Jahr 1623. Seine alten Freunde und
     Gönner hatten ihm damit ein Denkmal - ewiger als Marmor - gesetzt,
     und sie hatten reichlich Geld, Liebe und Zeit hineingesteckt. Das Buch,
     das aus der Presse kam, war ein wunderschönes Objekt - und der
     unverhohlene Versuch, den Autor aus der rauen zwielichtigen Theaterwelt
     hinauf auf die Höhe des Parnass zu heben. Für Shakespeares
     Feinde - jene, die ihn zu Lebzeiten als »emporgekommene Krähe«
     beschimpft hatten - war die First Folio Edition ein bitterer Rachestreich.
    »Allemal das Motiv für
     einen Mord«, sagte Sir Henry. »Die Folio ist eins der
     wertvollsten und begehrtesten Bücher überhaupt. Wusstest du,
     dass vor Kurzem eine zerrissene Ausgabe mit Wasserflecken, der mehrere
     Seiten fehlten, für 160 000 Pfund versteigert wurde?« Er schüttelte
     ungläubig den Kopf. »Als bei Sotheby’s letztes Jahr ein
     besonders gut erhaltenes Exemplar unter den Hammer kam, ging es für fünf
     Millionen Dollar weg. Sir Paul Getty hat angeblich sechs Millionen für
     seine First Folio ausgegeben. Stell dir das vor: ein alter Schinken, der
     zehnmal so viel einbringt wie ein Haus in London. Versteh mich nicht
     falsch, Kate, aber wenn Ros tatsächlich eine Folio gefunden hätte,
     warum ist sie dann nicht direkt zu Sotheby’s oder Christie’s
     gegangen, um sie versteigern zu lassen und sich in einer Villa in der
     Provence zur Ruhe zu setzen? Warum kam sie stattdessen zu dir?«
    »Ich weiß es
     nicht«, sagte ich, während ich versuchte, so etwas wie Ordnung
     in meine Gedanken zu bringen. »Es sei denn, es war keine neue Folio,
     die sie entdeckt hat - kein verschollenes Exemplar, meine ich -, sondern
     etwas darin. Oder sie

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