Die Shakespeare-Morde
kürzer.«
»Um Ros’ Geschenk
irgendeinem arroganten Polizeibeamten zu überlassen, der sowieso
nicht daraus schlau wird und es am Ende in der Asservatenkammer vermodern
lässt? Nein.« Ich schluckte. »Außerdem, Ros ist
auch nicht zur Polizei gegangen. Sie kam zu mir.«
»Und Ros ist tot, Kate.«
»Genau deswegen muss
ich gehen.« Ich berührte die Brosche an meinem Revers. »Ich
habe ihr ein Versprechen gegeben. Und ich bin vielleicht die Einzige, die
ihrer Spur folgen kann.«
Außer vielleicht ihr Mörder.
Der Gedanke stand unausgesprochen im Raum.
Sir Henry seufzte. »Das
wird Inspektor Sinclair nicht gefallen.«
»Er muss nichts davon
erfahren. Ich fliege rüber, werfe einen Blick in ihre Bücher,
und dann komme ich direkt zurück.«
»Wäre es nicht
schneller und sicherer, wenn du jemanden dort bittest, die Bücher für
dich durchzugehen? Du musst ja nicht sagen, worum es geht. Gewiss gibt es
in Harvard außer euch beiden noch ein oder zwei andere
Shakespeare-Experten.«
Ich nahm mein Glas und
schwenkte den Cognac mit einer ungeduldigen Handbewegung. Ein Jahr bevor
ich ging, hatte Professor Matthew Morris in Harvard angefangen. Mit honigsüßer
Sprachgewalt, flüssiger Schreibe und flottem Witz hatte er eine feste
Stelle angetreten. Studenten und Journalisten verehrten ihn, und an der
Universität wurde er wie ein Rockstar gehandelt. Ich hatte ihn von
Anfang an nicht leiden können, Ros ebenso wenig. »Mein
gelehrter Kollege«, nannte sie ihn mit bissigem Spott. Für sie
verkörperte er das Schlimmste, was die
moderne Akademie zu bieten hatte - viel Lärm um nichts. Matthew
Morris war der Letzte, dem sie irgendeinen Hinweis auf ihr Geheimnis
gegeben hätte. Eher würde ich mich an Sinclair wenden, dachte
ich.
Während der Cognac in
meinem Schwenker wieder zur Ruhe kam, schüttelte ich den Kopf.
»Meine Kommilitonen sind in alle Winde verstreut. Und Matthew Morris
macht zurzeit ein Forschungssemester an der Folger Library in Washington,
D. C.« Was ironischerweise stimmte, obwohl er Archivarbeit für
unter seiner Würde hielt. Auch wenn das nicht mein Hauptgrund war,
ihn zu übergehen. »Sonst gibt es niemanden, dem ich vertraue«,
erklärte ich. Zumindest das war unbestreitbar die Wahrheit.
*
Was meine Reise anging, so
stimmte Sir Henry schließlich zu oder er kapitulierte, ich war mir
nicht sicher. Doch als ich sagte, ich wolle zum Packen nach Hause, blieb
er hart.
»Deine Wohnung wird
wahrscheinlich observiert«, sagte er. »Außerdem musst du
dich ausruhen. Schreib mir eine Liste, und ich schicke Barnes los, dir ein
paar Sachen zu besorgen. Ich verspreche dir, dass wir dich morgen früh
pünktlich ins erste Flugzeug von Heathrow nach Boston setzen.«
»Barnes kann mir doch
keine Unterhosen kaufen«, widersprach ich.
Sir Henry machte ein gequältes
Gesicht. »Lingerie, meine Liebe. Lingerie klingt etwas verführerischer.«
»Nenn es, wie du
willst, aber Barnes schicke ich nicht.«
Ȇberlassen wir es
Mrs Barnes, der unerschütterlichen Seele. Sie nimmt es selbst mit
einer Armee von Büstenhaltern auf.« Ich hatte keine Ahnung
gehabt, dass eine Mrs Barnes existierte, doch Sir Henry sah mich mit
entsetzter Miene an. »Du glaubst doch nicht, dass ich den Haushalt
selber führe?«
Ich musste lachen. »Du
lebst in einem anderen Jahrhundert, Sir Henry.«
»Wie jeder, der es sich
leisten kann«, sagte er leichtherzig und trank seinen Cognac aus.
Als ich schließlich in
das majestätische Himmelbett mit den schweren Vorhängen kroch,
schlug es irgendwo in den Tiefen des Hauses drei. In einer Hand Ros’
Brosche, in der anderen die Karteikarte rollte ich mich zusammen und
dachte an den Schatten, den ich im Fenster meiner Wohnung gesehen hatte.
Wahrscheinlich war ich nur
durcheinander gewesen und hatte von der windgepeitschten Straße
einen verzerrten Blick auf Vorhänge und Möbel erhascht, wie man
Wölfe und Wale in den Wolken sieht. Trotzdem lag ich lange wach und
lauschte dem schlafenden Haus.
Irgendwann war ich wohl
eingeschlafen. Das Geräusch von rauschendem Wasser drang in meine Träume.
Ich richtete mich auf. Mein Bett hatte sich in das grasbewachsene Ufer
eines Bachs im Mondlicht verwandelt. In der Nähe lag eine schlafende
Gestalt auf einem Bett aus Veilchen. Ein grauer König, dem die Krone
in die Stirn gerutscht war. Ich bewegte mich auf ihn zu. Die
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