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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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kürzer.«
    »Um Ros’ Geschenk
     irgendeinem arroganten Polizeibeamten zu überlassen, der sowieso
     nicht daraus schlau wird und es am Ende in der Asservatenkammer vermodern
     lässt? Nein.« Ich schluckte. »Außerdem, Ros ist
     auch nicht zur Polizei gegangen. Sie kam zu mir.«
    »Und Ros ist tot, Kate.«
    »Genau deswegen muss
     ich gehen.« Ich berührte die Brosche an meinem Revers. »Ich
     habe ihr ein Versprechen gegeben. Und ich bin vielleicht die Einzige, die
     ihrer Spur folgen kann.«
    Außer vielleicht ihr Mörder.
     Der Gedanke stand unausgesprochen im Raum.
    Sir Henry seufzte. »Das
     wird Inspektor Sinclair nicht gefallen.«
    »Er muss nichts davon
     erfahren. Ich fliege rüber, werfe einen Blick in ihre Bücher,
     und dann komme ich direkt zurück.« 
    »Wäre es nicht
     schneller und sicherer, wenn du jemanden dort bittest, die Bücher für
     dich durchzugehen? Du musst ja nicht sagen, worum es geht. Gewiss gibt es
     in Harvard außer euch beiden noch ein oder zwei andere
     Shakespeare-Experten.«
    Ich nahm mein Glas und
     schwenkte den Cognac mit einer ungeduldigen Handbewegung. Ein Jahr bevor
     ich ging, hatte Professor Matthew Morris in Harvard angefangen. Mit honigsüßer
     Sprachgewalt, flüssiger Schreibe und flottem Witz hatte er eine feste
     Stelle angetreten. Studenten und Journalisten verehrten ihn, und an der
     Universität wurde er wie ein Rockstar gehandelt. Ich hatte ihn von
     Anfang an nicht leiden können, Ros ebenso wenig. »Mein
     gelehrter Kollege«, nannte sie ihn mit bissigem Spott. Für sie
     verkörperte er das Schlimmste, was die
     moderne Akademie zu bieten hatte - viel Lärm um nichts. Matthew
     Morris war der Letzte, dem sie irgendeinen Hinweis auf ihr Geheimnis
     gegeben hätte. Eher würde ich mich an Sinclair wenden, dachte
     ich.
    Während der Cognac in
     meinem Schwenker wieder zur Ruhe kam, schüttelte ich den Kopf.
     »Meine Kommilitonen sind in alle Winde verstreut. Und Matthew Morris
     macht zurzeit ein Forschungssemester an der Folger Library in Washington,
     D. C.« Was ironischerweise stimmte, obwohl er Archivarbeit für
     unter seiner Würde hielt. Auch wenn das nicht mein Hauptgrund war,
     ihn zu übergehen. »Sonst gibt es niemanden, dem ich vertraue«,
     erklärte ich. Zumindest das war unbestreitbar die Wahrheit.
    *
    Was meine Reise anging, so
     stimmte Sir Henry schließlich zu oder er kapitulierte, ich war mir
     nicht sicher. Doch als ich sagte, ich wolle zum Packen nach Hause, blieb
     er hart.
    »Deine Wohnung wird
     wahrscheinlich observiert«, sagte er. »Außerdem musst du
     dich ausruhen. Schreib mir eine Liste, und ich schicke Barnes los, dir ein
     paar Sachen zu besorgen. Ich verspreche dir, dass wir dich morgen früh
     pünktlich ins erste Flugzeug von Heathrow nach Boston setzen.«
    »Barnes kann mir doch
     keine Unterhosen kaufen«, widersprach ich.
    Sir Henry machte ein gequältes
     Gesicht. »Lingerie, meine Liebe. Lingerie klingt etwas verführerischer.«
    »Nenn es, wie du
     willst, aber Barnes schicke ich nicht.«
    »Überlassen wir es
     Mrs Barnes, der unerschütterlichen Seele. Sie nimmt es selbst mit
     einer Armee von Büstenhaltern auf.« Ich hatte keine Ahnung
     gehabt, dass eine Mrs Barnes existierte, doch Sir Henry sah mich mit
     entsetzter Miene an. »Du glaubst doch nicht, dass ich den Haushalt
     selber führe?«
    Ich musste lachen. »Du
     lebst in einem anderen Jahrhundert, Sir Henry.«
    »Wie jeder, der es sich
     leisten kann«, sagte er leichtherzig und trank seinen Cognac aus.
    Als ich schließlich in
     das majestätische Himmelbett mit den schweren Vorhängen kroch,
     schlug es irgendwo in den Tiefen des Hauses drei. In einer Hand Ros’
     Brosche, in der anderen die Karteikarte rollte ich mich zusammen und
     dachte an den Schatten, den ich im Fenster meiner Wohnung gesehen hatte.
    Wahrscheinlich war ich nur
     durcheinander gewesen und hatte von der windgepeitschten Straße
     einen verzerrten Blick auf Vorhänge und Möbel erhascht, wie man
     Wölfe und Wale in den Wolken sieht. Trotzdem lag ich lange wach und
     lauschte dem schlafenden Haus.
    Irgendwann war ich wohl
     eingeschlafen. Das Geräusch von rauschendem Wasser drang in meine Träume.
     Ich richtete mich auf. Mein Bett hatte sich in das grasbewachsene Ufer
     eines Bachs im Mondlicht verwandelt. In der Nähe lag eine schlafende
     Gestalt auf einem Bett aus Veilchen. Ein grauer König, dem die Krone
     in die Stirn gerutscht war. Ich bewegte mich auf ihn zu. Die

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