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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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starrte auf Ros’
     Karte auf dem Beistelltisch. »Warte mal«, sagte er. »Sie
     hat aus dem sechzehnten und dem dreiundzwanzigsten Sonett zitiert, um das
     Jahr anzugeben. Aber warum gerade diese Zeilen?« Er tippte auf die
     Karte.
    Ich stellte mich neben ihn.
     
    Dann mögen meine Bücher
     mich erklären,
    Die stummen Boten der
     beredten Brust.
     
    Als ich begriff, worauf er
     hinauswollte, wurde mir heiß. »Sie meinte ihre Bücher,
     nicht wahr? Nicht nur Shakespeares. Sir Henry, das ist brillant.«
    »Immer noch so etwas
     wie die Nadel im Heuhaufen bei einer belesenen Literaturwissenschaftlerin.«
    »Aber sie hat uns eine
     Hilfestellung gegeben«, sagte ich grinsend. »Dreh die Karte
     um.«
    Die andere Seite zeigte im
     unregelmäßigen, löchrigen Drucksatz einer
     Handschreibmaschine einen alten Katalogeintrag:
     
    Chambers, E.K. (Edmund
     Kerchever).
    1866-1954.
    Die Elisabethanische Bühne.
    Oxford, The Clarendon
     Press, 1923 .
     
    »Wunderschönes
     Buch«, sagte Sir Henry.
    »Bücher, meinst
     du. Es sind vier dicke Bände.« Chambers war einer der letzten
     Vertreter der alten Schule von Wissenschaftlern, die Fakten sammelten wie
     die viktorianischen Botaniker Käfer und Schmetterlinge - wahllos und
     im Übermaß -, um sie mit Witz und Überschwang der Öffentlichkeit
     vorzustellen. In der ›Elisabethanischen Bühne‹ hatte er
     jedes noch so kleine schriftliche Zeugnis, das mit englischem Theater zu
     Shakespeares Zeiten zu tun hatte und bis dato bekannt war, versammelt.
     Seitdem war nur noch wenig dazugekommen.
    Die vier Bände waren für
     die Forschung so etwas wie eine Schatzkiste, randvoll mit vergessenem
     Trivialwissen der Theatergeschichte.
    »Auf jeden Fall
     praktischer als die Folio«, sagte Sir Henry und erhob sich. »Denn
     zufälligerweise habe ich eine Ausgabe hier.« Er durchquerte die
     Bibliothek.
    »Warte«, sagte
     ich. »Nicht deine Bände. Ihre Bände. Das hier ist ihre
     Katalogkarte.«
    Er sah mich an. »Ros
     hat ihre eigenen Bücher katalogisiert?«
    »Nein. Aber bei Büchern
     hat Ros zwischen ihren eigenen und denen, die Harvard gehören, keinen
     Unterschied gemacht. Siehst du das hier?« Ich zeigte auf das Kürzel
     am oberen Rand. Thr390.160. »Das ist eine Signatur des Systems, das
     früher in der Widener Library benutzt wurde, Harvards
     Hauptbibliothek, bevor Melvil Dewey die neue Klassifikation eingeführt
     hat.«
    »Ros hat eine Karte aus
     dem Zettelkatalog von Harvard mitgehen lassen?«
    »Der Zettelkatalog gehörte
     ihr. Als in Harvard die Kataloge vor ein paar Jahren ins Netz gestellt
     wurden, hat die Bibliotheksleitung in einem Anfall digitaler Vermessenheit
     den ganzen Zettelkatalog ausgemustert. Um Platz zu sparen, wollten sie die
     alten Karteikarten loswerden - elf Millionen, von denen manche noch aus
     dem achtzehnten Jahrhundert stammen. Und die seitdem als Schmierzettel
     verwendet wurden. Als Ros davon Wind bekam, ist sie auf die Barrikaden
     gegangen - und sie hat sich nicht wieder beruhigt.«
    »Zweifellos hat sie
     ihre Meinung mit Eloquenz vertreten«, sagte Sir Henry mit
     hochgezogener Braue.
    Ich lächelte. »Sie
     schrieb Leserbriefe an die ›New York Times‹, an den ›New
     Yorker‹, die ›Atlantic Monthly‹ und das ›Times
     Literary Supplement‹ in denen sie über die Bibliothek herzog.
     Am Ende wirbelte sie so viel Staub auf, dass die Universität sich
     bereit erklärte, ihr alle Karten im Bereich englische Renaissance und
     Shakespeare zu überlassen, damit sie endlich Ruhe gab. Ros musste sie
     nur selbst heraussortieren. Wahrscheinlich hofften sie, dass Ros bei
     dieser Aussicht klein beigeben würde, doch da lagen sie falsch. Ros
     delegierte drei Forschungsassistenten, die eineinhalb Jahre nichts anderes
     taten, als den riesigen Papierberg durchzugehen … Einer davon war
     ich.«
    Wehmütig sah ich die
     Karte an. »Sie bewahrt sie in ihrem Büro auf, in einem der
     alten Karteikästen. Ich glaube nicht, dass sie nach all der Mühe
     eine der Karten einfach so als Briefpapier benutzen würde.« Ich
     strich mit dem Finger über das Papier. »Nein. Ich gehe jede
     Wette ein, dass sie in ihrer Chambers-Ausgabe irgendeinen Hinweis
     versteckt hat, der uns sagt, um welche First Folio Edition es geht und wo
     sie sich befindet.«
    »Und was ist dein
     Wetteinsatz?«
    »Eine Reise nach
     Harvard?«
    Sir Henry stellte sein Glas
     ab. »Warum gehst du nicht einfach zur Polizei? Der Weg wäre ein
     ganzes Stück

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