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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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ein Mausoleum mit einer Kuppel, das dem jungen Harry Widener gewidmet
     war. Hier ruhten zwar nicht seine Gebeine, so doch seine Bücher. Im
     marmornen Herz der Kuppel hatte man die exakte Kopie seines holzgetäfelten
     Arbeitszimmers nachgebaut, und auf dem Schreibtisch standen jeden Morgen
     frische Blumen. 
    Ich lief die Treppe hinauf.
     Von einer prächtigen Galerie aus pergamentblassem Marmor führte
     eine klassizistische Flügeltür in eine halbkreisförmige
     Kammer, die ebenfalls mit Marmor ausgekleidet war. Gegenüber öffnete
     sich eine kleinere Tür zu Harry Wideners Arbeitszimmer. Ich konnte
     die dunkle Vertäfelung sehen, die Bücher in den Glasschränken
     und die roten Nelken auf dem Schreibtisch, die nur ein wenig die Köpfe
     hängen ließen. Doch ich war bereits dort, wo ich hinwollte. In
     der Mitte des halbrunden Vorraums stand eine Vitrine, in deren Schaukasten
     zwei Bücher lagen. Das eine war das erste Buch, das je gedruckt
     wurde: die Gutenberg-Bibel, deren rhythmisches Latein in tiefe schwarze
     Lettern geprägt war, die Initialen rot und blau ausgemalt. Das andere
     war, dem guten Geschmack und großen Budget des jungen Harry sei
     Dank, Harvards eigene Ausgabe der First Folio Edition.
    Das Zimmer war leer; nur
     selten verirrten sich Studenten herein. Die Folio war auf der Seite mit
     Shakespeares Porträt aufgeschlagen, das ihn mit Silberblick,
     hochgezogenen Brauen und Eierkopf zeigte. Der plump auf dem Kragen
     aufgesetzte Schädel wirkte seltsam geköpft, als hätte man
     Shakespeares abgetrenntes Haupt auf einem halben Heiligenschein serviert.
     »MR WILLIAM SHAKESPEARES COMÖDIEN, HISTORIEN UND TRAGÖDIEN«,
     verkündeten die großen Buchstaben über dem Kupferstich.
     »PUBLICIRT GETREU DEN WAHREN ORIGINALEN COPIEN.« Darunter
     stand: »LONDON. Gedruckt von Isaac Iaggard und Ed. Blount. 1623.«
    Ich sah mir die Seite genauer
     an. Kein Leser hatte es gewagt, hier Spuren zu hinterlassen. Ros hatte
     zwar manche weniger heilige Titelei beschmiert, doch selbst sie hätte
     davor zurückgeschreckt, eine First Folio zu verunstalten.
    Chambers war der Schlüssel.
     Irgendetwas in einem der vier Bände der ›Elisabethanischen Bühne‹
     würde mir sagen, wonach ich zu suchen hatte. Das hieß, falls
     ich die Widener-Ausgabe fand. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
     Was, wenn der Mörder sie bereits hatte? Aber das war nicht möglich.
     Schließlich hatte ich Ros’ Hinweis bei mir gehabt, als sie
     starb, und ihn danach nicht mehr aus den Händen gegeben.
    Was wäre, wenn Ros die Bände
     selbst ausgeliehen hatte? Falls es so war, hatte sie die Bücher
     vermutlich mit nach London genommen. Sir Henry würde die Information
     wahrscheinlich von der Polizei herausbekommen können. Und dann?
     Sollte ich zu Sinclair gehen, mit den Augen klimpern und ihn bitten, mich
     Professor Howards Bücher durchsehen zu lassen - ohne ihm einen
     triftigen Grund anzugeben? Ich lief die Treppe hinunter und trat hinaus
     unter die Bäume.          
    Auf der anderen Seite des
     Rasens führten ein paar Stufen zur Terrasse der Memorial Church. An
     einem Maiabend vor etwa fünf Jahren hatte die Terrasse als Bühne
     meiner ersten Inszenierung gedient, die strengen Linien der
     klassizistischen Kirche waren meine Kulisse. Ich hatte bei einer
     Studentenaufführung von ›Was ihr wollt‹ Regie geführt.
     Die weiße und rosa Blütenpracht der Hartriegelbüsche hatte
     die Bühne gesäumt, und das Gelächter des Publikums hatte
     das Blätterdach der Ulmen erfüllt.
    Ich konnte heute noch stolz
     auf meine Inszenierung sein. Das Stück war gleichzeitig umwerfend
     komisch und düster grotesk gewesen mit seinem zentralen Streich, der
     nichts bezweckte, als den stolzen, sittenstrengen Malvolio zur Torheit und
     schließlich in den Wahnsinn zu treiben.
    Ich setzte mich auf die
     Stufen. Konnte es sein, dass Ros mir einen ähnlichen Streich gespielt
     hatte?
    Kein angenehmer Gedanke.
     Traurig dachte ich an die zierliche Gestalt unter der Bank im Globe, an
     ihre weit aufgerissenen Augen.
    Ein Mordsbüro, hatte sie
     gestern gesagt.
    Ein Mordsauftritt, hatte ich
     entgegnet.
    Nach all dem Aufwand, Katie,
     hätte ich etwas weniger Profanes für dich erhofft. Etwas, das
     … shakespearischer ist.
    Ich hatte sie schweigend
     angefunkelt. Sir Henry war es, der ihr gab, was sie hören wollte. Ich
     nenn dich Hamlet, hatte er gesagt, Fürst, Vater, Dänenkönig.
    »Ich nenn dich Hamlet«,
    

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