Die Shakespeare-Morde
Veilchen
waren an ihren Stängeln verwelkt; der alte Mann war tot. Zumindest
hatte ich ihn für einen Mann gehalten, doch während ich ihn
ansah, begann sich sein Gesicht zu verwandeln, zitternd und zuckend wie
unter Wasser, und plötzlich erkannte ich, dass es Ros war.
Mit einem grünen Blitzen
sprangen ihre Augen auf. Als ich zurückwich, spürte ich, wie ein
Schatten über meinen Rücken kroch, dann hörte ich das
Zischeln einer Klinge, die aus der Scheide gezogen wurde.
*
Stocksteif saß ich im
Bett. Ich hatte mir mit der Nadel der Brosche in den Finger gestochen; ein
Tropfen Blut war auf Sir Henrys Quilt gefallen. Ich stand auf und zog
vorsichtig die Vorhänge zurück. Draußen im Garten
strahlten die Rosen mit fleischigen pinken und dunkelroten Blüten im
gleißenden Sonnenschein. Ich hielt das Gesicht ins Licht und ließ
mich von der Sonne durchfluten, bis sich der Traum und allmählich
auch die Angst in der Morgenluft auflösten.
Im Ankleidezimmer lagen neue
Kleider für mich: eine schmale schwarze Hose, ein ausgeschnittenes
Top, enger, als ich es gewohnt war, und ein Blazer von teurer Einfachheit.
Ich war angenehm überrascht, wie gut alles saß. Auf dem Boden
stand ein kleiner gepackter Koffer.
Obenauf lag ein Flugticket.
Der Flug ging um neun. Eilig zog ich mich an und steckte die Brosche am
Revers meines neuen Blazers fest. Dann ging ich nach unten, um nach Sir
Henry zu suchen.
»Auf der Flucht vor den
Paparazzi habe ich mehr Tricks gelernt als beim Theater«, sagte er
zufrieden, als ich ins Frühstückszimmer kam. Der Bentley, erklärte
er mir, würde in wenigen Minuten mit dem Gärtner und seiner
Enkelin nach Highgate aufbrechen. Sein Ablenkungsmanöver hielt ihn
allerdings nicht davon ab, beim Frühstück besorgt an mir
herumzuzupfen. »Bist du dir sicher, dass ich dich nicht begleiten
soll?«, fragte er, während er ein Pfund Zucker in seinen Tee rührte.
Ich schüttelte den Kopf.
»Danke, aber mit einem weltberühmten Schauspieler an meiner
Seite würde ich wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit erregen.«
Ich war erleichtert, als ich
endlich zu Barnes in den Range Rover stieg.
»Pass auf dich auf,
Kate.« Mehr sagte Sir Henry nicht. Dann schloss er die Tür,
doch seine Augen waren voller Sorge.
9
Der Flug verlief wie in
Trance. Sir Henry hatte mir ein Erste-Klasse-Ticket besorgt, sodass ich
die Beine ausstrecken konnte, doch ich konnte weder schlafen noch
nachdenken. Um ein Uhr mittags landete ich auf dem Bostoner Logan Airport,
sprang in ein Taxi und ließ mich aufs Festland in den Stadtteil
Cambridge bringen.
Als das Taxi den Storrow
Drive entlangbrauste, sah ich den Charles River zu meiner Rechten tiefblau
unter dem wolkenlosen Himmel glitzern. Dann kamen am anderen Ufer die
roten Backsteingebäude der Studentenwohnheime in Sicht mit ihren
braunen, türkisen und engelsblauen Kuppeln. Die Straße
beschrieb einen Bogen über den Fluss und brachte uns schließlich
ins Universitätsviertel, das die frühsommerliche Sonne jetzt
schon in einen Backofen verwandelte. Ich checkte in mein Hotel ein —
das Harvard Inn - und beeilte mich mit den Formalitäten. Dann stellte
ich den Koffer im Zimmer ab, warf mir die Tasche über die Schulter
und eilte im Laufschritt über die Massachusetts Avenue und in den
parkartigen Campus.
Hier war es kühler - die
Backsteinbauten standen in einem Meer grüner Rasenflächen im
Schatten gepflegter hoher Bäume mit glatten Stämmen. Als ich um
die Ecke bog, tauchte die Bibliothek vor mir auf. Erbaut im Andenken an
einen jungen Harvard-Absolventen, der 1912 nach Europa gereist war, um
seiner Liebe zu kostbaren Büchern zu frönen, und auf dem Rückweg
beim Untergang der Titanic ums Leben kam, beherrschte die Harry Elkins
Widener Memorial Library die östliche Hälfte des Campus von
Harvard - ein massiger Würfel, so dominant wie die trauernde
Matriarchin, die den Bau in Auftrag gegeben hatte.
Ich lief die Freitreppe
hinauf und betrat durch das zwei Stockwerke hohe Portal die kühle
Marmorhalle. Am Schalter der Zugangsverwaltung erhielt ich als Ehemalige
eine gelbe Besucherkarte für das Magazin. Ein Stockwerk tiefer zeigte
ich dem gelangweilten Studenten, der die Aufsicht führte, meinen vorläufigen
Ausweis vor und gelangte über ein hell erleuchtetes Treppenhaus ins
Magazin.
Ich blieb einen Moment
stehen, um
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