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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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war. Ich hatte Asche in den Haaren und im Mund,
     meine Nase war voller Ruß, und meine Augen tränten.
    Als wir die Massachusetts
     Avenue erreichten, schien es, als wäre jedes Fahrzeug mit Sirene nördlich
     von Providence unterwegs zum Campus von Harvard. Wir blieben an der
     Bordsteinkante stehen. Mein Hotel war direkt auf der anderen Straßenseite.
    »Dort wohnen Sie?«,
     rief Ben, um den Krach zu übertönen.
    Ich nickte und wollte eben
     über die Straße laufen.
    Doch er hielt mich fest.
     »Unter Ihrem eigenen Namen?«
    »Nein, als Mona Lisa«,
     gab ich schnippisch zurück und leckte mir über die trockenen
     Lippen. »Was glauben Sie wohl?«
    »Sie können nicht
     zurück.«
    »Die Polizei weiß
     nicht -«
    »Wir haben andere
     Sorgen als die Polizei.«
    Ich wollte widersprechen,
     doch dann biss ich mir auf die Lippe. Böse Kate, hatte mir der Mörder
     ins Ohr geflüstert. Er kannte meinen Namen. Falls er auf der Suche
     nach mir war, wäre das Harvard Inn -das nächstgelegene Hotel -
     der erste Ort, wo er nachsehen würde. Doch wo sollte ich sonst hin?
    »Wir gehen zu mir«,
     sagte Ben.
    Ich hatte keine Wahl. Wir
     liefen über die Straße, nahmen die Bow Street zur Mount Auburn
     und überquerten die John-F.-Kennedy-Street auf der anderen Seite von
     Harvard Square. Ben wohnte unten am Fluss im Charles Hotel. Das Charles,
     eine schräge Mischung aus Großstadt-Chic und neuenglischem
     Farmhaus, war eines der feinsten Hotels in Cambridge - der Ort, wo
     Aristokraten und Vorstandsvorsitzende abstiegen, wenn sie ihre Kinder oder
     ihre Ärzte in Harvard besuchten. Ich hatte noch nie eins seiner
     Zimmer von innen gesehen.
    Doch Ben hatte kein Zimmer,
     er hatte eine Suite. Als ich eintrat, fiel mein Blick auf lila Sofas und
     schwarze Lederstühle mit hoher Lehne, die wie Soldaten um einen großen
     Esstisch Wache standen. An einem Ende des Tischs befand sich ein Laptop
     mit einem Haufen Papiere. Dahinter öffnete sich eine Fensterfront auf
     die Stadt im Morgengrauen. Auf dieser Seite war die brennende Bibliothek
     glücklicherweise nicht zu sehen.
    Das Buch an mich gepresst,
     war ich in der Tür stehen geblieben. »Warum sollte ich Ihnen
     vertrauen?«, fragte ich zum zweiten Mal an diesem Abend.
    »Sie haben allen Grund,
     misstrauisch zu sein«, erklärte Ben, »aber wenn ich Ihnen
     etwas an tun wollte, hätte ich es längst getan. Ros wollte
     Schutz für Sie, und sie hat mich angeheuert. Sicherheit ist mein
     Geschäft, Kate. Ich habe meine eigene Firma.« Dann erklärte
     er mit einem matten Lächeln: »Waffen und Wachmänner. Keine
     Versicherungen.«          
    »Das kann jeder sagen.«
     Irgendwann unterwegs war seine Waffe verschwunden.
    Er trat hinter mich und
     schloss die Tür. Ben Pearl war groß, fiel mir auf, und hatte
     weit auseinanderstehende grüne Augen. Er räusperte sich, dann
     sagte er: »Es gibt Gezeiten für der Menschen Treiben; nimmt man
     die Flut wahr, führt sie uns zum Glück; versäumt man sie,
     so muss die ganze Reise des Lebens sich durch Not und Klippen winden.«
    Ebenso gut hätte Ros ihm
     ein schriftliches Empfehlungsschreiben geben können. Es war ihr
     Lieblingszitat, auch wenn sie das nicht gerne zugab, weil sie fand, dass
     Lieblingszitate generell sentimental und vorhersagbar waren. Doch diese
     Zeilen aus ›Julius Cäsar‹ brachten die Philosophie auf
     den Punkt, nach der sie gelebt hatte und die sie auch an mich
     weiterzugeben versuchte: Folge deinem Glück. Als ich mich allerdings
     daran hielt und meine flüchtige Chance am Theater am Schopf packte, hatte sie laut
     protestiert und meinen Weggang von der Universität als Fahnenflucht,
     Feigheit und Betrug gebrandmarkt. Damals, in der Nacht, als ich ging,
     hatte ich ihr die Verse aus ›Julius Cäsar‹
     entgegengeschleudert. Erst später fiel mir auf, wer die Worte sagte:
     Brutus, der Schüler, der zum Mörder wurde.
    Ich schauderte. »Sie
     wusste es? Sie wusste, dass sie mich in Gefahr brachte?«
    »Geben Sie das Buch her
     und setzen Sie sich.«
    Ich wich zurück.
    »Ich bin nicht scharf
     auf Ihr Buch, Kate«, sagte er geduldig. »Ich will nur Ihre
     Hand versorgen.«
    Ich folgte seinem Blick.
     Über den Buchdeckel zog sich ein Streifen Blut, der aussah wie ein
     chinesisches Schriftzeichen, und auch die Glasscherbe, die noch im Einband
     steckte, war blutverklebt. Unwillkürlich ließ ich das Buch los
     und sah zu, wie es zu Boden fiel. Ein tiefer Schnitt lief quer über
    

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