Die Shakespeare-Morde
mir vorbei
und ging voran. Ich tastete mich an der Wand entlang, doch ich musste mich
beeilen, um mitzuhalten. Riesige Rohre liefen an den Wänden des
Tunnels entlang, ein paar waren warm, andere bullerten, und manche waren
tot. Schlurfend, um nicht zu stolpern, hasteten wir, so schnell wir
konnten, durch die undurchdringliche Finsternis. Meine Augen versuchten so
angestrengt, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, dass ich das Gefühl
hatte, sie würden aus den Höhlen treten.
Ein Stück weiter machte
der Tunnel einen Knick nach rechts. Kurz nach der Biegung blieb Ben
stehen.
»Was —«,
begann ich, doch er unterbrach mich.
»Schließen Sie
die Augen und hören Sie.« In dem Moment, als ich mich auf mein
Gehör konzentrierte, anstatt auf das, was ich nicht sah, entspannten
sich meine Augen - doch was ich hörte, waren leise schlurfende
Schritte hinter uns.
Wortlos gingen wir schneller.
Irgendwo begann es zu brummen, dann lief ein Zittern durch die Rohre, die
Neonröhren im Tunnel flackerten kurz auf, und mit einem Schlag
begriff ich, was passierte. Jemand hatte den Hauptschalter erreicht. Wenn
der Strom wieder lief, bevor wir die Tür am anderen Ende des Tunnels
erreichten, saßen wir in der Falle.
»Los!«, rief ich,
doch Ben brauchte keine Aufforderung. Die Lampen flackerten erneut auf,
und jetzt konnte ich das Ende des Tunnels sehen, nur wenige Schritte von
uns entfernt.
»Halt!«, schrie
eine dröhnende Stimme weit hinter uns.
Noch drei Schritte, und Ben
warf sich mit einem Sprung gegen die Tür. Sie flog auf, und ich
rannte hindurch. Kaum war Ben hinter mir hergeschlüpft, warf er die Tür
zu. Schmatzend fiel sie ins Schloss.
Keuchend standen wir in einem
tiefen Keller, der kaum mehr war als ein kalt ausgeleuchteter Lagerraum
voller Regale. Eine Tür führte ins Treppenhaus. Zwei Stockwerke
höher betraten wir das schwach beleuchtete Foyer im Erdgeschoss des
Lamont-Gebäudes. Rechts befand sich eine Nische mit Kopierern. Links
war der verlassene Ausleihschalter, daneben eine Glastür zu einer
kleinen Terrasse. »Notausgang. ALARMGESICHERT«, warnte ein
Schild über der Tür. Draußen schien bereits jede
Alarmanlage auf dem ganzen Campus zu heulen.
»Meinen Sie, eine
Sirene mehr fällt auf?«, rief Ben.
Ich schob mich an ihm vorbei
hinaus in die Nacht. Wir standen auf einer kleinen mit Efeu bewachsenen
Betonterrasse. Über uns stimmte eine weitere Glocke in den Chor der
Sirenen ein, doch es war zu bezweifeln, dass irgendjemand in mehr als drei
Metern Entfernung sie hörte. Als wir um die Ecke bogen, blieb ich wie
angewurzelt stehen.
Vor uns hatte sich eine
kleine Menschenmenge versammelt, doch keiner sah in unsere Richtung. Sie
konnten uns bei dem Höllenlärm, der hier draußen
herrschte, unmöglich hören, und außerdem starrte jeder
Einzelne von ihnen wie hypnotisiert zur Widener-Bibliothek hinüber,
wo eine Rauchsäule und lodernde Flammen aus dem Innenhof stiegen.
Plötzlich wurde mir
klar, was sich dort im glutroten Herzen des Feuers befand: Harry Wideners
Arbeitszimmer. »Die Bücher«, stöhnte ich. All die
wunderschönen, unersetzbaren Bücher. Das war das Schneegestöber,
das im Innenhof durch die Luft wirbelte, als ich aus Ros’
geborstenen Fenstern gesehen hatte: Seiten aus den kostbaren Büchern
der Widener-Sammlung.
»Wenigstens ist niemand
zu Schaden gekommen«, sagte Ben.
Doch ich konnte nur an die Bücher
denken, die dort verbrannten. »Mein Gott«, sagte ich erschüttert.
»Die First Folio Edition.« Am Nachmittag hatte ich noch
hineingesehen. In der Rotunde vor dem Arbeitszimmer.
Auch im Globe war eine First
Folio in Flammen aufgegangen. Mit einem Mal begriff ich, dass der
verdammte Mistkerl mordete und ganze Gebäude niederbrannte, um die
Folios zu zerstören. Und die Folio - zumindest ein bestimmtes
Exemplar - war das jakobäische Magnum opus, das Ros meinte. Der Schlüssel
zu ihrer Entdeckung. Der Mörder wollte nicht nur Ros und mich davon
abhalten, den Schatz zu finden - egal was es war. Er eliminierte alle
Wege, die zum Ziel führen könnten.
Ich wollte mich durch die
Menge nach vorn drängeln, doch Ben hielt mich zurück. »Es
ist zu spät«, sagte er mit rauer Stimme. »Die Bücher
sind hin.« Er zog mich fort, am Haupteingang der Lamont-Bibliothek
vorbei, und dann verließen wir den Campus durch das gleiche Tor,
durch das ich gekommen
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