Die Shopping-Prinzessinnen
war ein Kalender, auf dem irgendjemand die Tage mit einem dicken roten Stift ausgeixt hatte.
»X!«, schrie ich in meiner Verzweiflung. Es war das Beste, was mir im Augenblick einfiel.
»Mister X?«
»Na ja, weil er Franzose ist, nennt er sich Monsieur X .«
» Monsieur Icks? Was soll denn das für ein Name sein?«
»Ach, das ist nur sein Künstlername.«
»Künstlername? Ist er beim Theater?«
Wenn es um Falschmeldungen geht, ist die Modeindustrie genauso schlimm wie die Klatschpresse.
Ich musste also das Schlimmste verhindern, auch wenn ich dabei neue Gerüchte in die Welt setzen musste.
»Ja, das heißt, nein … über Namen ist er eigentlich längst hinaus. Sie sind schließlich etwas sehr Altmodisches. So etwas hatte man doch bloß früher, im letzten Jahrtausend«, erklärte ich mit einem krampfhaften Lacher. »Nein, im Ernst. Er ist äußerst menschenscheu, und … ähm … er würde gern anonym bleiben.«
»Aha«, meinte Spring. »Und wie erreichen wir diesen Monsieur Icks?«
»Du wirst das vielleicht etwas merkwürdig finden, aber ich bin sein einziger Kontakt mit der Außenwelt, Spring.«
»Ach, wirklich?«, bemerkte Spring zweifelnd.
»Er möchte nicht, dass irgendjemand erfährt, wer er ist. Er möchte auch nicht, dass irgendjemand was über seine Person und sein Leben erfährt. Er tut alles nur um der Kunst willen«, erklärte ich und war inzwischen selbst davon überzeugt.
»L’art pour l’art«, schwärmte Spring. »Wunderbar! Das ist sooo französisch!«
Ich wusste, dass ihre Augen jetzt strahlten.
»Er ist doch Franzose, nicht wahr?«
»Ja, ein ganz leidenschaftlicher!«, bestätigte ich.
»Warte mal einen Moment«, sagte Spring. »Malcolm!«
Sie hielt den Daumen aufs Mikrofon, und ich hörte ihre Stimme nur noch sehr gedämpft. »Ich
warte jetzt schon fünf Minuten auf meinen Kabbalatini!« Dann wandte sie sich wieder mir zu: »Also, wenn ich das richtig verstehe, ist das eine Exklusivstory, stimmt’s?«
»Exklusiv … ja! Total exklusiv!«
»Hör mal, Schätzchen, ich möchte, dass du noch mehr schickst. Mehr Zeichnungen und noch mehr Muster. Alles, was du erwischen kannst. Geht das?«
»Ich werd’s versuchen.«
»Versuchen genügt nicht! Du musst es machen !« Es war klar, was Spring meinte: Ich musste »Monsieur X« unter Dach und Fach bringen, ehe Winter Tan an ihn rankam.
»So, und jetzt will ich dich nicht länger aufhalten, Schätzchen. Mach’s gut! Ich muss ein bisschen telefonieren.« Man hörte ein lautes Schlürfen – der Kabbalatini war offenbar eingetroffen – und einen Lungenzug von gigantischen Ausmaßen.
Als sie weitersprach, war ihre Stimme ganz weich und entspannt. »Imogene, Schätzchen«, schnurrte sie ins Telefon. »Du hast mich unendlich glücklich gemacht.«
N a schön, Spring war also noch etwas enthusiastischer, als ich gehofft hatte. Das war doch gut, oder nicht? Das bloße Fashion-Forecasting hatte seinen Höhepunkt schon überschritten. Und das lag keineswegs bloß an den anderen Modezeitschriften. Das Internet war voll von Fashion-Blogs, Chatrooms und Diskussionsforen,
Modenschauen wurden in Echtzeit in die ganze Welt übertragen, und so wurde Springs Geschäftsmodell jeden Tag mehr untergraben. Sie hatte schon lange nach Mitteln und Wegen gesucht, um Hautelaw zu diversifizieren. Sie wusste, wenn ihr nichts Neues einfiel, würde die Firma allmählich eingehen. Dazu brauchte sie keine Kristallkugel.
Ich kehrte zurück in die Wohnung, um Teil zwei unseres Plans durchzuführen. Wir hatten beschlossen, dass es tatsächlich gut für die Publicity wäre, wenn Caprice und ein paar ihrer Kolleginnen die Kleider des unbekannten Meisters tragen würden, wenn sie Streikposten standen. Ich würde ganz zufällig mit meinem Camcorder vorbeikommen, ein paar schöne Aufnahmen für meine Reportage machen und sie dann übers Internet direkt an Spring schicken.
Konkurrenz brauchten wir nicht zu befürchten, denn die meisten Medienvertreter waren gleich abgereist, als die Fashion Week abgesagt wurde. Paris war so tot wie eine Balenciaga-Tasche vom letzten Jahr. Unser Plan war also mehr als genial.
Als ich sicher war, dass Leslie nicht in der Nähe war (er hatte ein gastronomisches Klassentreffen mit den Kommilitonen aus seinem Kochkurs und würde wohl schwerlich vor Mitternacht wieder zu Hause sein), schlich ich in den Keller hinunter, um das geheime Atelier aufzusuchen.
Dort herrschte absolutes Highlife! Evie hatte die schönsten Kleider
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