Die Shopping-Prinzessinnen
ernsthaft, ich würde Ihnen verraten, wo sich die Werkstatt des begehrtesten Couturiers seit Jahrzehnten befindet? Monsieur X braucht Ruhe zum Arbeiten, er muss sich auf die kommende Kollektion konzentrieren.«
In diesem Augenblick erschien eine wütende Caprice hinter uns und drohte Minty eine Tracht Prügel an. Wie ich später erfuhr, hatte sie die Reporter kommen sehen und die anderen Mädchen daran zu hindern versucht, den Bus zu verlassen. Aber Minty hatte sie in die Toilette gesperrt und die Tür von außen verbarrikadiert.
Mein Handy meldete sich. Ich hielt es ans Ohr und brüllte: »Ja, hallo?!!«
»Schätzchen!!!«
»Spring?!« Oh mein Gott!
»Du siehst großartig aus!«
»Was?!«
»Ich sehe dich gerade im Fernsehen!«
»Fernsehen?!«
»Ja, Schätzchen. Das sind diese Bildschirme, die man im Wohnzimmer hat. Die mit den komischen Bildern. Schon mal davon gehört?«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Du bist live auf CNN!«
»Was?!«
»Ich habe gesagt, du bist im -«
»Aber – bei euch ist es doch vier Uhr morgens!«
»Die Mode schläft nie, Schätzchen. Apropos, ich finde dein Outfit ganz süß! Dieser Katherine-Hepburn-Chic mit weiten weißen Hosen ist so eine erfrischende Antithese zu dem, was Audrey immer getragen hat. Wusstest du, dass die beiden entfernt miteinander verwandt waren?«
»Oh, vielen Dank! Aber wegen heute, Spring, ich kann alles erklären! Weißt du -«
»Du brauchst mir nichts zu erklären, Schätzchen. Einen brillanten Publicity-Coup erkenne ich auf den ersten Blick!«
»Publicity-Coup? Ähm … ja! Natürlich! Publicity-Coup!«
»Ich nehme an, du hast dieses Cowgirl angeheuert, um das Ding durchzuziehen?«
»Mercie?«
»Ja, genau. Gute Idee! Ich möchte, dass du weiter mit ihr arbeitest. Wer immer sie sein mag, ich will sie in unserem Team! Sie ist fabelhaft! Erst die Gerüchte über Monsieur X bei der Presse zu verbreiten, dann die Models dazu zu bringen, dass sie die Kollektion als Streikposten vorstellen …«
Ein langer, nachdenklicher Zug an der Zigarette folgte.
»Dieser Medienrummel wird den Umsatz hochjagen wie lange nichts mehr! Alle unsere Kunden haben deinen Bericht schon gelesen. Das Lookbook ist
ein Giga-Erfolg, und die Telefone stehen nicht still. Barneys will die ganze Kollektion von Monsieur X blind bestellen! Und unsere Beauty-Kunden … na, ich sage bloß: Mega-Lizenzen!«
Ich versuchte, etwas zu sagen, kam aber nicht mehr zu Wort.
»Du bist näher dran, Imogene. Ich überlasse es dir, wie du weiter vorgehst. Du hast uns einen Riesenvorsprung vor allen anderen verschafft. Du bist eben echt cutting-edge !«
»Aber, Spring -«
»Ich finde das alles so spannend, ich komme selbst nach Paris! Ich werde so schnell wie möglich da sein, und Mick und Malcolm bringe ich mit. Ich möchte, dass du gleich ein Meeting mit deinem PR-Cowgirl arrangierst. Wir müssen die zweite Stufe unseres Plans zünden.«
»Was für ein Plan?«, fragte ich verzweifelt, obwohl ich schon ahnte, was jetzt kommen würde.
»Na, wir müssen dem begeisterten Publikum die Kollektion von Monsieur X vorstellen, Schätzchen, was sonst?«
»Du meinst, eine richtige Modenschau? Aber die Models streiken doch!«
»Na und? Schätzchen, du bist doch auch ein Widder, genau wie ich. Es wird uns schon etwas einfallen! Leute wie wir laufen den Nachrichten nicht hinterher, wir machen die Nachrichten!«
Ich stöhnte.
»Tja«, sagte Spring. »Ich habe gleich morgen früh
ein Interview mit der Women’s Wear Daily und brauch meinen Schönheitsschlaf, Schätzchen!«
W ie früher im Wilden Westen wurde jetzt in Paris mit Plakaten nach Monsieur X gefahndet. Überall in der Stadt hingen »WANTED«-Plakate, allerdings wusste niemand, wie er eigentlich aussah (auch ich nicht). Anstelle eines Fotos gab es nur einen gezeichneten Schattenriss eines Unbekannten.
Der Tag war jetzt grau, nass und freudlos geworden. Ich brauchte unbedingt etwas Tröstliches und beschloss, dass ein schöner Fünf-Uhr-Tee genau das Richtige wäre. Obwohl der Salon de Thé außen von einem Metallgerüst abgestützt wurde (vermutlich, damit er nicht einstürzte), hatten die bemalte Decke und die abgewetzten vergoldeten Wände noch immer ihren besonderen Charme. Im Gegensatz zu anderen berühmten Amerikanern, die in den Pariser Cafés Flaubert und Camus studieren, über Philosophie und die großen Künstler des Tages diskutieren, hatte ich mich nur hierher geflüchtet, um meine Gedanken ein bisschen zu ordnen.
»Da ist
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