Die sieben Dämonen: Roman
Leichnam ausging. Wie gebannt hatte er auf ihr verzerrtes Gesicht gestarrt, in dessen hervorquellenden, glasigen Augen sich das nackte Grauen bewahrt hatte. Was hatte die Scheicha so in Angst versetzen können? Sie, die stets den Eindruck erweckt hatte, sich vor nichts zu fürchten?
»Effendi.«
Mark blinzelte zu Abdul hinüber. »Ja?«
»Wir haben die Oberkante der Tür erreicht.«
Alle knieten sich um Mark herum in den Sand, als dieser vor der Steinwand in die Hocke ging. Sie kauerten am Fuße des östlichen Cañon-Felsens und starrten hinunter auf die Stelle, die von den Fellachen freigelegt worden war. Die natürlichen Kalksteinschichten der Felswand hörten jäh auf, und unmittelbar darunter erschien ein glatter, gemeißelter, weißer Steinblock, der waagerecht im Kalkstein lag
und unter dem Sand verschwand. In der Mitte waren zwei Falkenaugen eingemeißelt, welche üblicherweise den Abschluß von Grabstelen bildeten.
»Was bedeutet das?« flüsterte Halstead.
Mark streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen vorsichtig über die Meißelung. »Das sind die Augen von Horus. Der Verstorbene sollte durch sie hindurchblicken können, um das Tageslicht zu sehen.«
»Aber sie sind …«
»Verstümmelt, ja. Und zwar absichtlich. Das war kein Versehen. Hier können Sie deutlich die Spuren des Meißels erkennen.«
»Aber warum?«
»Auf den ersten Blick würde ich sagen, es geschah, um sie blind zu machen.«
Alle standen auf und wischten sich den Staub von den Händen. »Wie lange wird es dauern, um die ganze Tür freizulegen?« wollte Halstead wissen.
Mark betrachtete die steinerne Treppe, die unter die Erde führte. »Die Schwelle befindet sich etwa drei Meter unter uns. Ich schätze, noch etwa ein, zwei Tage.«
Das Wehklagen der Trauernden von Hag Qandil erfüllte das Tal und drang bis ins Gemeinschaftszelt vor, wo die sieben schweigend beim Abendessen saßen. Sie lauschten auf das Jammern und mußten wieder an den erschütternden Anblick der Scheicha denken.
Sanford Halstead schob seinen kaum berührten Salatteller von sich und fragte steif: »Ist es Ihnen jetzt schon möglich, zu sagen, ob das Grab unversehrt ist?«
Mark wandte ruckartig den Kopf. Der Tod der alten Frau war auch ihm nahegegangen. Der Schmerz darüber saß tief. Er hatte sie noch so viel fragen wollen.
»Diese verstümmelten Augen auf der Tür zum Grab«, fuhr Halstead fort, »könnten sie das Werk von Grabräubern sein?«
Mark versuchte, mit seinen Gedanken bei dem Grab zu bleiben. Schließlich war das das Ziel all ihrer Bemühungen. Die betroffenen Gesichter seiner Gefährten erinnerten ihn daran, daß er hier die Hauptverantwortung trug. Sie brauchten seine Stärke und Standfe
stigkeit. Wenn er jetzt Schwäche zeigte, könnte das ganze Unternehmen fehlschlagen. »Grabräuber hätten keinen Grund und auch keine Zeit gehabt, so etwas zu tun. Nein, das ist das Werk der Priester.«
»Warum hätten sie sich die Mühe machen sollen, die Augen zuerst in den Türsturz zu meißeln, um sie danach zu entstellen?«
»Weil man zunächst einmal Augen haben muß, um blind zu werden.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wer immer in diesem Grab bestattet ist, die Priester wollten ihm den Blick nach draußen verwehren. Um ganz sicherzugehen, daß der Betreffende wirklich nichts sehen konnte, gaben sie ihm Augen und schlugen sie ihm gleich darauf wieder aus.«
Alle hörten auf zu essen und starrten Mark an.
Er musterte seine Hände. Die Verbände hatten sich gelöst, aber seine Fingerspitzen waren noch immer wund. Da sah er ein Insekt unter seinem Teller hervorkriechen. Er schlug kräftig zu.
»Kann man gegen dieses Ungeziefer nicht etwas tun, Davison?« fragte Halstead und verscheuchte eine Fliege.
»Das sind eben die unangenehmen Begleiterscheinungen des Lebens in der Wüste.«
Hasim al-Scheichly, der die ganze Zeit auf seinem Notizblock herumgekritzelt hatte, räusperte sich und sagte: »Dr. Davison, ich werde Sie morgen nicht zur Ausgrabungsstätte begleiten. Ich werde eine Feluke nach El Minia nehmen, weil ich meine Vorgesetzten anrufen muß.«
Mark drehte sich abrupt zu ihm um.
»Es ist an der Zeit, Bericht zu erstatten. Bis die Regierung weitere Beamte zu uns heruntergeschickt hat, wird der Grabeingang freigelegt sein. Meine Vorgesetzten müssen bei der Öffnung des Grabes zugegen sein.«
Marks Miene verdüsterte sich. »Ich hatte gehofft, man würde uns noch ein paar Tage Freiheit zubilligen, bevor …« Niemand bemerkte, daß
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