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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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gleichgültig.
    Kurz vor elf kam Doktor Winchester mit Sir James Frere. Als ich die beiden unten in der Diele sah, sank mir das Herz. Ich wußte ja, daß Miß Trelawny wieder die schmerzliche Eröffnung einem Fremden gegenüber bevorstand, daß sie von dem Leben ihres Vaters gar nichts wüßte.
    Sir James Frere war ein Mann, der Aufmerksamkeit erregte, die jedoch bald dem Respekt wich. Er wußte so gründlich und genau, was er wollte, daß er Wünsche und Ideen anderer, mit weniger Entschlossenheit begabter Personen ein für allemal beiseite schob. Allein das Aufblitzen seiner durchdringenden Augen, das Zusammenpressen das resoluten Mundes oder das Runzeln der mächtigen Brauen genügte, um sich sofortigen und willigen Gehorsam gegenüber seinen Wünschen zu schaffen. Irgendwie kam es, daß alles Geheimnisvolle zu schwinden schien, nachdem wir ihm alle vorgestellt worden waren und er in unserer Mitte weilte. Voller Hoffnung sah ich, wie er mit Dr. Winchester das Krankenzimmer betrat.
    Dort hielten sie sich lange auf. Einmal wurde nach Schwester Doris verlangt, die blieb aber nur kurz drinnen. Sodann gingen beide wieder in Schwester Kennedys Zimmer. Die bei ihr wachende Schwester wurde hinausgeschickt. Im nachhinein sollte mir Dr. Winchester berichten, daß Schwester Kennedy, trotz ihres Nicht-Wissens bezüglich späterer Ereignisse, Doktor Freres Fragen, die sich auf ihren Patienten bezogen, vollständig und zufriedenstellend beantworten konnte, allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt des Einsetzens ihrer Bewußtlosigkeit. Sodann suchten die beiden das Arbeitszimmer auf, in dem sie lange verweilten. Ihre in hitzigem Wortwechsel erhobenen Stimmen schienen in ihrer Meinung total entgegengesetzt, so daß mir schon unbehaglich zumute wurde. Und was Miß Trelawny betraf, so geriet sie in gefährliche Nähe eines Nervenzusammenbruchs, ehe die beiden den Raum verließen. Armes Mädchen! Sie hatte eine kummervolle Zeit hinter sich und war mit ihrer Nervenkraft am Ende.
    Schließlich war die Diskussion beendet. Sir James kam als erster heraus. Sein ernstes Antlitz war so undurchschaubar wie das der Sphinx. Doktor Winchester folgte ihm unmittelbar. Er war blaß, von einer Blässe jedoch, die wie eine Reaktion wirkte. Mir dünkte, sein Gesicht wäre eben noch hochrot gewesen. Sir James bat nun
    Miß Trelawny ins Arbeitszimmer und schlug vor, ich solle mit ihr kommen. Wir traten ein, worauf er sich zunächst an mich wandte:
    »Wenn ich Dr. Winchester richtig verstanden habe, sind Sie Miß Trelawnys Freund und verfügen über Einblick in diesen Fall. Deshalb mag es von Nutzen sein, daß Sie anwesend sind. Mr. Ross, ich kenne Sie als scharfsinnigen Anwalt, dessen Bekanntschaft zu machen, ich noch nicht das Vergnügen hatte. Nun berichtet mir Dr. Winchester, daß dieser Fall von sonderbaren Umständen begleitet ist, die ihm mancherlei Rätsel aufgeben – ihm und anderen – und die Sie besonders interessieren könnten, auch wenn Sie den Fall in- und auswendig kennen. Was mich anlangt, so kümmern mich Rätsel nicht viel – mit Ausnahme wissenschaftlicher Rätsel. Da es so aussieht, als wäre ein Mord – oder Raubversuch mit im Spiel, kann ich nur eines sagen: falls hier Mörder am Werk waren, dann sollten sie vor einem nächsten Versuch ein paar grundlegende Lektionen in Anatomie nehmen, denn ihre Unwissenheit schreit zum Himmel. War aber allein ein Raub ihr Ziel, dann gingen sie ebenfalls überaus stümperhaft zu Werke. Aber das ist ja, wie gesagt, nicht meine Sache.«
    An dieser Stelle genehmigte er sich eine kleine Prise Schnupftabak und fuhr dann zu Miß Trelawny gewandt fort:
    »Nun zum Patienten. Die Ursache seines Zustandes zunächst außer acht lassend, können wir im gegenwärtigen Moment nur sagen, daß er unter einem Anfall von Katalepsie leidet. Im Augenblick kann man für ihn auch nichts tun, man kann ihn höchstens bei Kräften halten. Die Behandlung durch meinen Freund Winchester ist größtenteils zu billigen. Sollte eine leichte Änderung des Zustandes eintreten, wird er die Situation zufriedenstellend meistern, da bin ich ganz zuversichtlich. Ja, es handelt sich hier um einen interessanten Fall – einen höchst interessanten Fall. Sollte sich etwas Neues oder Abnormales ergeben, dann werde ich gern sofort zur Stelle sein. Doch wäre da noch ein Punkt auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, und ich wende mich dabei an Sie, Miß Trelawny, da dies in ihren Verantwortungsbereich fällt. Doktor Winchester sagte

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