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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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Trelawny, Sie verstehen, daß ich willens bin – ehrlich und uneingeschränkt –, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um Ihren Kummer zu lindern. Doch verfolgte Ihr Vater bei seinem Vorgehen einen bestimmten Zweck, den er mir nicht enthüllte. Soweit ich sehe, hat er sich jedes Wort seiner Anweisungen gründlich überlegt. Welche Idee er damit verfolgte – es war die Idee eines ganzen Lebens. Er hatte seinen Plan in jeder nur möglichen Phase überdacht und war bereit ihn in jedem Punkt zu schützen.
    Leider mußte ich Ihnen Kummer bereiten, was mir aufrichtig leid tut, weil ich sehe, daß Sie ohnehin schon viel – viel zu viel – ertragen müssen. Doch blieb mir keine andere Wahl. Wenn Sie meinen Rat in irgendeiner Sache brauchen, stehe ich Ihnen ohne zu zögern jederzeit zur Verfügung und werde kommen. Hier ist meine Privatadresse«, er kritzelte noch während des Sprechens in sein Notizbuch, »und darunter meine Klubadresse unter der man mich für gewöhnlich am Abend antrifft.«
    Mr. Marvin riß die Seite heraus, händigte sie Miß Trelawny aus, sie bedankte sich. Er wechselte mit ihr und mir einen Händedruck und ging.
    Kaum hatte sich hinter ihm die Tür geschlossen, klopfte Mrs. Grant an und trat ein. Ihre Miene war Ausdruck so großer Verzweiflung, daß Miß Trelawny totenblaß aufstand und fragte:
    »Was ist denn, Mrs. Grant? Was gibt es? Etwa eine neue Katastrophe?«
    »Es tut mir sehr leid, Miß, aber ich muß Ihnen sagen, daß die Dienstboten bis auf zwei gekündigt haben und noch heute das Haus verlassen wollen. Das alles haben die sich untereinander abgesprochen. Der Butler wurde zum Sprecher bestimmt. Er sagte, daß sie gern auf den ihnen zustehenden Lohn verzichten und sogar Bußgeld zahlen wollen, wenn sie nur heute noch das Haus verlassen dürften.«
    »Und aus welchem Grund?«
    »Sie geben keinen Grund an. Sie sagen zwar, es täte ihnen leid, sie hätten aber nichts dazu zu sagen. Ich knöpfte mir daraufhin Jane vor, das Erste Hausmädchen, das nicht mitmacht und bleiben möchte. Sie sagte mir im Vertrauen, daß sie sich in die dummen Köpfe gesetzt hätten, das Haus wäre verwünscht!«
    Daraufhin hätten wir sie auslachen müssen, was wir aber nicht taten. Ich konnte Miß Trelawny nicht ansehen und lachen. Der Schmerz und das Entsetzen in ihrer Miene waren ohne Furcht. Offenbar hatte sich eine Idee in ihr festgesetzt, die nun eine Bestätigung fand. Was mich betrifft, so hatten meine Überlegungen eine Stimme gefunden. Doch war diese Stimme nicht vollständig. Dahinter lag nämlich noch eine andere Vorstellung, dunkler und tiefer, deren Stimme sich bislang nicht hatte hören lassen.
     

6. KAPITEL
     
    VERDACHTSMOMENTE
     
    Miß Trelawny hatte als erste ihre Fassung wiedergewonnen. Stolz und Würde prägten ihren Ausdruck, als sie sagte:
    »Sehr gut, Mrs. Grant. Sollen Sie doch gehen! Zahlen Sie alle bis zum heutigen Tag aus und geben Sie einen Monatslohn dazu. Sie haben mir bislang treu gedient, und der Grund ihres Weggehens ist kein gewöhnlicher. Von jemandem, der besessen ist von Ängsten, kann man keine Treue erwarten. Diejenigen, die bleiben, sollen in Zukunft doppelten Lohn bekommen. Und schicken Sie diese bitte zu mir, wenn ich es Ihnen ausrichten lasse.«
    Mrs. Grant kochte vor unterdrückter Empörung. Als Haushälterin war sie außer sich über die großzügige Behandlung von Dienstboten, die sich zur gemeinsamen Kündigung verschworen hatten.
    »Das verdienen die nicht, Miß. So wie man die hier behandelt, werden die für immer verdorben. Nie im Leben hab’ ich gesehen, daß Dienstboten es so gut hatten oder daß jemand so gütig zu ihnen war wie Sie. Im Haushalt des Königs hätte es ihnen nicht besser gehen können. Und wenn es mal Ärger im Haus gibt, einfach auf und davon gehen! Abscheulich ist das!«
    Miß Trelawny brachte die Empörte auf sanfte Weise zur Ruhe, so daß Mrs. Grant schließlich ging und verminderten Groll gegen die Undankbaren zur Schau trug. Gänzlich anders gestimmt kam sie nach einer Weile wieder und fragte, ob ihre Herrin es wünsche, daß neues Personal eingestellt werden solle, falls sich solches fände. »Denn Sie wissen ja«, fuhr sie fort, »wenn die Dienstboten einmal Angst bekommen, dann ist es ihnen nie wieder auszutreiben. Es finden sich vielleicht neue Dienstboten, aber die suchen ebenso schleunigst das Weite. Niemand kann sie halten. Sie laufen einfach fort, und selbst wenn sie den einen Monat Kündigungsfrist einhalten, führen sie sich

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