Die sieben Finger des Todes
über die Krankheit ihres Vaters erfahren hatte:
»Ich kann mit Ihnen die Einzelheiten bezüglich der Wünsche Ihres Vaters durchgehen, wann immer Sie dazu bereit sind.«
»Wann immer sie wollen«, sagte sie, die Bedeutung seiner Worte offensichtlich nicht erfassend. »Warum nicht jetzt?«
Da sah er mich an wie ein Kollege einen anderen und stammelte:
»Aber – wir sind nicht allein.«
»Ich habe Mr. Ross mit voller Absicht mitgebracht«, antwortete sie. »Er weiß schon so viel, daß er mehr erfahren soll.«
Der Anwalt schien momentan sprachlos, was jeman dem, der ihn nur aus dem Gerichtssaal kannte wie ich, kaum glaublich erscheinen mochte. Zögernd gab er zurück:
»Aber meine liebe junge Dame – die Wünsche Ihres Vaters! Das Vertrauen zwischen Vater und Kind –!«
Hier unterbrach sie ihn, wobei ihre bleichen Wangen sich ein wenig röteten:
»Meinen Sie wirklich, dies trifft auf die gegenwärtigen Umstände zu, Mr. Marvin? Mein Vater hat mich in seine Angelegenheiten niemals eingeweiht; und ich kann auch jetzt, unter diesen kummervollen Umständen, seine Wünsche nur durch einen Menschen erfahren, der für mich ein Fremder ist und von dem ich erst durch den Brief meines Vaters erfuhr, einen Brief, der geschrieben wurde, damit ich ihn nur im Ernstfall zu Gesicht bekäme – Mr. Ross ist einer neuer Freund, der aber bereits mein vollstes Vertrauen besitzt. Ich möchte, daß er anwesend ist. Es sei denn«, setzte sie hinzu, »dergleichen wäre von meinem Vater untersagt worden. Ach, verzeihen Sie mir, Mr. Marvin, falls ich Ihnen zu brüsk erscheine. Aber ich stehe in jüngster Zeit unter so großer Anspannung, daß ich mich kaum mehr in der Gewalt habe.« Sie bedeckte mit einer Hand die Augen. Wir Männer sahen einander an und warteten mit sichtbarer Gelassenheit. Als sie fortfuhr, hatte sie sich gefaßt:
»Bitte, bitte, glauben Sie ja nicht, Ich wüßte Ihnen keinen Dank für Ihre Freundlichkeit, so rasch zu kommen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, und hege vollstes Vertrauen in Ihr Urteil. Wenn Sie es wünschen und es für richtig halten, dann können wir unter vier Augen sprechen.«
Ich erhob mich, aber Mr. Marvin vollführte eine abwehrende Gebärde. Ihre Haltung schien ihm zu gefallen. Es klang aufrichtig, als er sagte:
»Aber keineswegs! Keineswegs! Von Seiten Ihres Vaters liegt diesbezüglich keine Beschränkung vor, von meiner Seite auch nicht. Alles in allem mag es auch günstiger sein. Mr. Trelawnys Krankheit und die sie begleitenden seltsamen Umstände mögen es geraten erscheinen lassen, im Falle eines – Ernstfalles festzustellen, daß von Anfang an die Umstände von den bindenden Anweisungen ihres Vaters abhingen. Denn Sie müssen begreifen, daß seine Anweisungen zwingend sind. Sie sind so unabänderlich, daß er mir Vollmacht verlieh, die Durchführung seiner Anweisungen zu überwachen. Bitte, glauben Sie ein für allemal, daß er alles im Brief Geschriebene wirklich meinte! Solange er am Leben ist, muß er in seinem Zimmer bleiben, aus dem unter keinen wie immer gearteten Umstände ein einziges Stück entfernt werden darf. Er hat mir sogar eine Aufstellung jener Dinge gegeben, die nicht entfernt werden sollen.«
Miß Trelawny schwieg still. Sie sah bedrückt aus, und ich, der ich den Grund zu kennen glaubte, fragte:
»Dürften wir die Aufstellung sehen?«
Miß Trelawnys Miene erhellte sich und verdunkelte sich wieder, als der Anwalt ohne Verzug und sichtlich auf diese Frage vorbereitet antwortete:
»Nicht ehe ich auf Grund der Generalvollmacht tätig werde. Ich habe dieses Dokument mitgebracht. Mr. Ross, Sie werden sicher sogleich erkennen«, sagte er mit einer gewissen Überzeugung, die ich auch in seiner Arbeit schon beobachtet hatte, und händigte mir das Papier aus, »wie sorgfältig es abgefaßt ist. Der Zedent äußert seine Wünsche auf eine Art und Weise, die keine Ausflucht offenläßt. Es ist bis auf ein paar rechtliche Ausdrücke sein eigener Wortlaut. Ich kann Ihnen versichern, daß ich selten ein so hieb- und stichfestes Dokument gesehen habe. Sogar ich bin machtlos, was Änderungen der Bestimmungen betrifft, es sei denn, ich mache mich eines Vertrauensbruches schuldig. Und das ist ausgeschlossen, das brauche ich wohl nicht zu betonen.«
Diese Worte hatte er wohl hinzugesetzt, um zu verhindern, daß man ihn umzustimmen versuchte. Die Schroffheit seines Tons hatte ihm wohl selbst unangenehm in den Ohren geklungen, denn er setzte hinzu:
»Ich hoffe aufrichtig, Miß
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