Die sieben Finger des Todes
untersuchten, noch ehe wir weiter zur Mumie gingen, die das eigentliche Ziel unserer Suche war. Diese Stelle nun war eine große Tafel aus Lapislazuli, über und über mit ganz kleinen aber wunderschönen Hieroglyphen bedeckt. Die hauchdünnen Ritzen waren mit einem besonders feinen zinnoberroten Bindemittel ausgefüllt. Die Inschrift begann mit den Worten:
»Tera, Königin beider Ägypten, Tochter des Antef, Herrscherin des Nordens und des Südens, Tochter der Sonne, Königin des Stirnreifs.«
Sodann folgte in voller Länge die Geschichte ihres Lebens und ihrer Regierung.
Die Insignien der Herrschaft waren mit wahrhaft weiblichem Schwelgen im Zierat wiedergegeben. Die vereinigten Kronen des Oberen und Unteren Ägyptens waren im besonderen mit großer Genauigkeit in den Stein geschnitten. Für uns beide war es neu, Hejet und Desher – die Weiße und die Rote Krone der beiden Ägypten – auf der Stele einer Königin anzutreffen. Denn es war im alten Ägypten eine Regel ohne Ausnahme, daß beide Kronen nur von Königen getragen wurden, wenngleich sie auch Göttinnen schmücken können. Später fanden wir eine Erklärung dafür, über die ich in Kürze genaueres ausführen will.
Eine Inschrift wie diese war an sich schon eine aufregende Sache, aber Sie haben ja keine Vorstellung von der Wirkung, die sie auf uns ausübte. Zwar waren unsere Augen nicht die ersten, die sie sahen, sie waren jedoch die ersten, die sie mit Verständnis ansahen, seitdem vor nahezu fünftausend Jahren der Steinblock vor der Felsöffnung festgemacht worden war. Uns war es nun gegeben, die Botschaft der Toten zu lesen. Es war die Botschaft einer, die gegen die Alten Götter aufgestanden war und sich der Herrschaft über sie gerühmt hatte, als die Priesterhierarchie behauptete, sie hätte es in der Hand sie gütig zu stimmen oder ihren Zorn zu erregen.
Die Wände der oberen Grabkammer und der Sarkophag-Kammer waren dicht beschrieben. Alle Inschriften, mit Ausnahme jener auf der Stele, waren blaugrün pigmentiert. Wenn man sie von der Seite her betrachtete und der Blick die grünen Facetten erfaßte, hatte man den Eindruck, es wäre ein alter, verblaßter indischer Türkis.
Mit Hilfe des mitgebrachten Flaschenzuges ließen wir uns in die eigentliche Grabkammer hinunter. Trelawny machte den Anfang. Es war eine tiefe Gruft, mehr als siebzig Fuß tief, die nie aufgefüllt worden war. Der Gang auf dem Grund stieg sanft zur Grabkammer an. Er war länger als gewöhnlich und war nicht zugemauert.
Im Inneren der Grabkammer fanden wir einen großen Sarkophag aus gelbem Stein. Aber den brauche ich nicht zu beschreiben. Sie kennen ihn aus Mr. Trelawnys Zimmer. Der Deckel lag auf dem Boden. Er war nicht festgemacht gewesen, genauso wie Van Huyn es beschrieben hatte. Unnötig zu sagen, daß wir von höchster Aufregung erfaßt wurden, als wir hineinblickten. Eine Spur von Enttäuschung muß sich wohl dazugesellt haben. Denn ich dachte daran, wie anders wohl der Anblick gewesen sein mußte, der sich dem holländischen Reisenden damals geboten hatte, als er in den Sarkophag blickte und die weiße Hand wie lebendig auf den Mumientüchern liegen sah.
Dafür erlebten wir eine Aufregung, die Van Huyn nicht gekannt hatte! Der Stumpf des Gelenkes war nämlich mit getrocknetem Blut bedeckt! Es war, als hätte der Leichnam nach Eintritt des Todes noch geblutet. Die gezackten Enden des abgebrochenen Gelenkes starrten vor verkrustetem Blut. Und der weiße Knochen, der herausragte, sah aus wie Opalgestein. Das Blut war geflossen und hatte die braunen Umhüllungen rostig gefärbt. Hier hatten wir nun die volle Bestätigung des Berichtes. Mit diesem Beweis vor Augen, konnten wir auch die anderen Einzelheiten nicht mehr in Zweifel ziehen, wie beispielsweise das Blut an der Mumienhand oder die Abdrücke der sieben Finger an der Kehle des erwürgten Scheichs.
Ich will Sie nicht mit allen Einzelheiten, die wir sahen, behelligen, noch viel weniger mit dem, was wir erfuhren. Teils waren es Dinge, die allen Gelehrten bekannt sind, teils entnahmen wir die Einzelheiten der Stele, den Skulpturen und den Hieroglyphenzeichen an den Wänden.
Königin Tera entstammte der elften oder Thebanischen Dynastie der ägyptischen Könige, einer Dynastie, die zwischen dem neunundzwanzigsten und fünfundzwanzigsten Jahrhundert vor Christus herrschte. Da sie das einzige Kind ihres Vaters Antef war, gelangte sie nach ihm auf den Thron. Tera muß von Charakter und Fähigkeiten her ein
Weitere Kostenlose Bücher