Die sieben Häupter
Heinrichs Mauern wecken, dazu war er nicht gedacht. Also widerstand er der Versuchung des Flämmchens, das ruhig in der Laterne vor sich hin brannte. Er führte den Holzspatel an seine Nase und schnupperte. Nichts. Er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, daß er sich nicht mehr mit der Kunst der Alchimie befaßt hatte. So sehr war er damit beschäftigt gewesen, den Drachensamen zu bekommen, daß er sich gar nicht darum gekümmert hatte, was er damit anstellen mußte. In einem Anflug von Wagemut berührte er den grauen Film auf dem Spatel mit der Zungenspitze. Sofort spuckte er aus: Das Zeug brannte im Mund. Schon befürchtete er, es könne um ihn geschehen sein. Als er nach einiger Zeit weder tot noch vom Leibhaftigen geholt worden war, kehrte sein berechnender Gleichmut zurück. Der Geschmack würde ihm immer in Erinnerung bleiben. Für ihn war es der Geschmack von Macht.
Thaddäus zögerte. Wie weiter? Er beugte sich tiefer über die Schale, aber im Halbdunkel des Raumes konnte er den Drachensamen nur als schwarze Masse erkennen. Selbst als er die Laterne näher heranrückte, spendete sie nicht genügend Licht. Zögernd nahm er einen Kienspan vom Vorrat, der am Ende des Tisches aufgehäuft war, und entzündete ihn. Für einen Augenblick erwog er, das Experiment abzubrechen. Wäre seine Ungeduld weniger groß gewesen, er hätte sich den nächstbesten Landstreicher gegriffen und ihn das Pulver ausprobieren lassen. So aber wagte er es. Vater Thaddäus brachte Drachensamen und Feuer zusammen.Das war also der Drachensamen. Vater Thaddäus schüttelte den Kopf. Erst am Abend hatte er gewagt, die Kammer zu verlassen. Nachdem er seine Gemächer ungesehen erreicht hatte, hatte er einem Pagen durch einen Türspalt befohlen, ihm Wasser zu bringen, viel Wasser, und hinzugefügt: Auch einen Kamm! Und seine Bartschere! Die Dinge hatte er sich durch die Türe reichen lassen. Thaddäus seufzte, als er sein Spiegelbild im Wasserbecken sah. Der Bart stand ihm um den Mund herum in alle Himmelsrichtungen ab, über der Stirne hatte sich das Haar zu Spiralen verdreht, seine Augenbrauen waren Geschichte, und sein Gesicht war so schwarz, als wäre er geradewegs aus der Hölle gestiegen. Vielleicht hätte er sich nicht gar so tief über das Schälchen beugen sollen, dachte er. Andererseits: Wenn der Drachensamen wirklich so mächtig gewesen wäre, wie er es gedacht hatte, dann wäre von ihm wohl nur noch ein Rauchfähnchen übrig. So war er zwar noch einmal davongekommen, aber recht glücklich war er darüber auch nicht. Ein schwarzes Gesicht mochte gut sein für eine kleine Narretei, ein Erzbischof ließ sich davon nicht vom Thron reißen. Solange der Drachensamen nur mächtig qualmte und ein unanständiges Geräusch von sich gab, war er nicht von Nutzen. Sollte es das wirklich gewesen sein? Ein Zischen und Rauch? Zwar hatte dieses kleine bißchen Pulver ihn seine verborgene Macht recht deutlich spüren lassen. Aber diese Macht war gleichsam nutzlos verpufft. Die Feuerwerke, von denen er damals auf einem Kreuzzug erfahren hatte, sollten aus bunten Sternen und Flammen bestanden haben. Was er heute erlebt hatte, war nicht sehr bunt gewesen. Wichtiger noch, er hatte selbst gehört, wie maurische Fürsten befürchteten, daß Bagdad binnen Tagen fallen würde, würde man erst einmal Chinapfeile verwenden. Pfeile, die mit dem Drachensamen gefüllt waren. Thaddäus hatte genug Erfahrung auf Kreuzzügen sammeln können, um zu wissen, daß sich Araber nicht wegenein paar schwarzer Gesichter und verbrannter Haare geschlagen gaben. Zweifellos gab es ein Geheimnis, wie man die Macht des Drachen locken mußte.
Nachdem sein Gesicht wieder halbwegs gesäubert und seine Bartfülle beträchtlich ausgedünnt war, legte er sich auf seiner Pritsche nieder und ließ nachdenklich einen Rosenkranz durch die Finger gleiten. Es gab einen Menschen, der wußte, wie man den Drachen hervorlockte. Er mußte ihn nur fragen. Und das Beste war, daß dieser Mensch sich ganz in der Nähe befand. Morgen früh würde er losreiten. Vater Thaddäus betete das Abendgebet mit ungewöhnlicher Hingabe und dankte dem Herrn für die glückliche Fügung. Der Geruch nach verbranntem Haar hing im Raum.
16. Kapitel
Auf der Straße nach Repgow, Juni 1223
A ls sie weit genug gekommen waren, um sich vor ihren Verfolgern sicher zu fühlen, saßen ein erleichterter Ludger und ein todmüder Albrecht ab und bereiteten sich ein Lager für die Nacht. Das Glücksgefühl über die
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