Die sieben Häupter
Aussicht, endlich wieder nach Hause zurückzukehren, endlich wieder ruhig schlafen zu können, in einem Bett, ohne Angst haben zu müssen, war unbeschreiblich. Doch in Ludgers Erleichterung mischte sich ein seltsamer Beigeschmack. Wenn er die ganze Sache mit dem Säckchen hinter sich hatte, würde er wieder der verträumte Minnesänger sein. Da würde er wieder Irmgard besingen oder andere Frauen, die er niemals gewinnen konnte. War das alles? Fehlte da nicht etwas in seinem Leben? Die Laute zu schlagen war ja schön, aber Ludger hatte erlebt, was es hieß, nicht nur von Abenteuern zu erzählen, sondern sie selbst zu erleben. Vielleicht war es nun an der Zeit, nicht nur von Frauen zu singen, sondern auch eine zu finden. Und dann einen eigenen Sohn zu haben, einen wie den kleinen, mutigen Albrecht, mit dem er in die Welt hinausziehen und dem er Vorbild sein konnte. Nicht nur von edlen Rittern zu berichten, sondern selber ein edler Ritter zu sein. Andererseits war eine Familie nun das letzte, was er sich bislang gewünscht hatte. Es schien so gar nicht zu seinem Leben als Minnesänger zu passen. Daß er sich nun danach zu sehnen begann, verwirrte ihn zutiefst. Es gab doch, bei genauerer Betrachtung, nichts Schlimmeres als eine Schar bläkender Bälger, die einem ständig am Rockzipfel hingen – und doch …»Komm, wir müssen weiter«, murmelte Ludger leise. Nicht viel mehr als Albrechts Schopf schaute aus der Decke, in die er sich gewickelt hatte. Ludger streckte sich und gähnte. Sie hatten zwischen den Kiefern, in sicherer Entfernung zur Straße, Rast gemacht. Erste Helligkeit ließ die Umgebung in einem schummrigen Licht erscheinen, das mehr verbarg als offenbarte. Hinter sich hörte er Albrecht aufstehen und zum Pferd wanken. Mein eigener Sohn wird nie und nimmer so folgsam sein, dachte Ludger und seufzte. Er erkannte, daß er sich das Leben wohl auf kurz oder lang unnötig erschweren würde. Dabei war das Junggesellendasein doch so angenehm!
Wenig später befanden sie sich wieder auf der Straße in Richtung Repgow.
»Wir haben Kloster Nienburg passiert«, sagte Ludger. »Bis hierher werden die Slawen sich nicht wagen! Wir sind in Sicherheit, Albrecht!« Der Junge ließ nicht erkennen, ob er Ludgers Zuversicht teilte. »Wenn wir in Repgow sind, wirst du erst einmal ein Festmahl bekommen, das schwöre ich. Unsere Köche können einen ausgezeichneten Schweinsbraten zubereiten …«
»Da kommt jemand«, unterbrach Albrecht ihn.
»Und dann bekommst du anständige Kleider und … wie? Vor uns? Du hast scharfe Augen … ein Reiter … vielleicht sogar aus Repgow?«
Der Gedanke an Repgow rief wieder das unbestimmte Glücksgefühl in ihm wach. Wie lange war er nun schon fort! Andererseits hatte er seinen Auftrag nicht erfüllt. Vater Thaddäus würde ihn in der Luft zerreißen. Er würde Graf Heinrich in Kenntnis setzen über den Fehltritt eines gewissen Lautenspielers. Und dann werde ich mir keine Sorgen mehr machen müssen, daß ich mir das Leben mit einer Familie einengen könnte, dachte Ludger düster.
»Wenn ich nur wüßte, wo Vater Thaddäus jetzt ist«, dachte er laut.
»Vor uns, Herr«, erwiderte Albrecht.
Ludger riß die Augen auf und zuckte so heftig zusammen, daß sein Roß einen Satz machte. Auf sie beide hielt kein anderer zu als der Benediktiner persönlich.
Thaddäus war nicht weniger überrascht. Er zügelte sein Pferd neben Ludgers und starrte ihn an, als wäre er ein Wesen aus den Tiefen der Hölle – das er gleich höchstpersönlich exorzieren würde. Ludger hielt seinem Blick nur einen Herzschlag lang stand und bemerkte eine Veränderung in Thaddäus’ Gesicht, die er nicht näher benennen konnte, senkte gleich darauf das Haupt und starrte auf die Zügel.
»Wie kommt es, daß Ihr Euch bei Köpenick herumtreibt?«
»Euer Auftrag …«
»… hat nichts mit Köpenick zu tun. Noch weniger mit den Heiden, die, Gott weiß wie, Euch in ihre Finger bekamen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Ihr hättet versucht, Euch davonzustehlen.«
Ludger verschlug es die Sprache. Er brachte nur ein Krächzen heraus.
Thaddäus’ Blick fiel auf den Jungen. »Ah, Albrecht, einer von Ritter Ulrichs Leuten. Da Ihr, Herr Ludger, mit ihm allein kommt, habt Ihr wohl seine Männer den Heiden geopfert. Unglücksrabe!«
»Ich … sie … wir wurden verfolgt«, brachte Ludger hervor, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. »Sie wollten die Slawen aufhalten.«
»So habt Ihr den Grafen auch noch vorzügliche
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