Die sieben Häupter
aufmerksam, und glaubt nicht an das, was die Bauern sich erzählen, das möchte ich Euch raten. Blond und jung war sie, sagt Ihr? Kennt Ihr ihren Namen?«
»Ethlind hieß sie, glaube ich.«
»Ethlind! Schau an. – Gut. Ich finde den Weg, bemüht Euch nicht.«
Der Torwächter öffnete den Mund, aber Vater Thaddäus eilte bereits über den Klosterhof.
Er kannte Siechhäuser. Gegen jene, die er aus seiner Kreuzzugszeit gewohnt war, war dies hier eine Verkörperung des Paradieses. Anstelle des Gestanks von Eiter lag nur ein feiner Geruch von Schweiß und Urin in der Luft.
»Der Kranke Matteo?« fragte er einen Bruder, der mit einem schmutzigen Tuch und einer Schale an ihm vorbeiging. Wortlos wies der Mann auf eine Liegestatt zu seiner Rechten. Darin schlief ein Mann, dessen Antlitz Thaddäus unwillkürlich an das jener Kreuzfahrer erinnerte, die den Mauren in die Hände gefallen waren, sich befreien konnten und sich nach Tagen desHungers und Dürstens halbtot und mit Gelbsucht zu den Ihren durchschlugen. Dieser Mann hatte also das Säckchen bringen sollen.
»Seid Ihr wach, Herr Matteo?«
Der Kranke schlug die Augen auf. Mit dem ersten Blick, den er Thaddäus schenkte, wurde dem Mönch klar, daß er ein schweres Spiel haben würde. Er seufzte.
»Ich bin Vater Thaddäus«, erklärte er wahrheitsgemäß. »Ich bin kein Mann dieses Klosters und nicht im Auftrag des Herrn Abtes hier. Der Herr Abt hat sich zur Einkehr zurückgezogen. Habt keine Furcht.«
»Schert Euch fort«, murmelte Matteo.
»Ein Mädchen hat Euch gepflegt, bevor Ihr hierherkamt«, fuhr Thaddäus unbeirrt fort. Matteo zuckte zusammen, hatte sich aber sogleich wieder in der Gewalt. »Es hat Euch sogar hier im Kloster besucht, wie ich gehört habe.«
»Ihr seid sicher nicht gekommen, um mir von ihr zu erzählen«, flüsterte Matteo bitter.
»Vielleicht vermag ich Euch zu helfen.« Thaddäus senkte die Stimme. »Was hieltet Ihr davon, wenn ich Euch hier herausbrächte – und zu Eurer Ethlind?«
Matteo gab ein rasselndes Lachen von sich. »Sicher. Und dafür wollt Ihr jetzt etwas von mir wissen, nehme ich an. Vergeßt es. Ich traue schon lange keinem Schwur mehr.«
Thaddäus lächelte. Er hatte genug Erfahrung, um zu wissen, daß körperliche Schwäche nicht unbedingt mit geistiger einherging.
»Ihr würdet Euer Geheimnis mit in den Tod nehmen, wenn es sein muß, das weiß ich. Vielleicht vermag Euch das Leben zu überzeugen. Ich bringe Euch in Sicherheit. Mit Frau Ethlind.«
»Ein Junge ist hier«, rief ihm ein Knappe schon von weitem zu, als Vater Thaddäus zurück nach Repgow kam. »Er sagt, Ihrhättet Herrn Ludger auf der Straße getroffen! Aber Herr Ludger ist noch nicht wieder da!«
»Erstaunlich«, sagte Thaddäus. »Nun, er wird wissen, was er tut. Ich bin in Eile. Bitte richte Frau Irmgard aus, daß ich pünktlich vor dem Ruf des Herrn Erzbischofs wieder hier sein werde. Albrecht kann ihr berichten, daß Ludger wohlauf ist, er hat das ja sicher schon getan. Jetzt führe mich zu dem Mädchen Ethlind, rasch!«
Ethlind gab sich störrisch, was in Anbetracht ihres Zustandes nicht gerade verwunderlich war. Das Pech, nach ihrer gefahrvollen Flucht aus Nienburg von einem gewöhnlichen Bauern aufgegriffen worden zu sein, noch dazu von dem böswilligen Alfred, faßte sie geradezu als persönliche Beleidigung auf. Die Behandlung ihrer Verletzung hatte nicht zu ihrer Aufmunterung beigetragen, hatte man angesichts des dick angeschwollenen Knies doch ganz auf ein bewährtes Hausmittel vertraut: das Öffnen der Wunde. Daß nun Vater Thaddäus bei ihr erschien, setzte ihre Pechsträhne fort. Sie drehte sich auf ihrer Liegestatt zur Seite und preßte Augen und Lippen zusammen.
»Ihr mögt ihn sehr, nicht wahr?« hörte sie Thaddäus’ sanfte Stimme hinter sich. Es war nicht die Stimme eines bösen Menschen; vielmehr versprach sie Schutz und Geborgenheit. Beides Wünsche, deren Bedeutung Ethlind seit dem Auftauchen des Fremden fast vergessen hatte. Die Worte riefen die tiefe Sehnsucht danach in ihr wach, stärker und brennender, als sie sie selbst während ihrer Gefangenschaft verspürt hatte. Mit größter Mühe widerstand sie der Versuchung, dem Mönch mit der angenehmen Stimme einfach zu vertrauen.
»Er ist sehr krank.« Sie hörte, wie der Vater sich auf einen Schemel setzte. »Sie haben ihn ins Siechhaus gebracht. Oh, er leidet, der Arme!«
Ein Zucken lief durch Ethlinds Körper. Betören will ermich, Lügengeschichten erzählt er, redete
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