Die sieben Häupter
lange von seiner Familie getrennt. So kam es, daß Roswitha zwischen Saale und Elbe jeden Weiler, jeden Forst, jedes Steinchen kannte.
Sie nahm die Unterlippe zwischen die Zähne und sah Bernhard an. »Was würdest du tun, wenn ich dir deinen Drachensamen zurückbrächte?«
»Du?« Er lachte sie aus. »Und wie willst ausgerechnet du das anstellen?«
Sie lächelte, obwohl seine Geringschätzung sie wütend machte. »Nur mal angenommen, ich könnte es. Was würdest du tun, Bernhard?«
Er wurde mit einemmal ernst und schaute sie unsicher an. »Du meinst das wirklich?«
Sie neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Na ja, warum nicht? Ich bin in der Gegend vielleicht nicht so bekannt wie du«, vor allem nicht so verhaßt, fügte sie in Gedanken hinzu. »Aber ich habe noch ein paar brauchbare Beziehungen. Ich denke, es wäre einen Versuch wert. Und ich werde weder den Argwohn des Erzbischofs noch den des Grafen erwecken, weil sie mich nicht kennen.«
Langsam fing er offenbar an, ihren Vorschlag ernstlich zu erwägen. »Wie willst du das anstellen? Du kannst unmöglich ohne Begleitung eine solche Reise antreten. Aber wir können uns keine weiteren Mitwisser leisten, verstehst du. Ich hätte eigentlich nicht einmal dir davon erzählen dürfen. Nein, eine Frau allein unterwegs in diesen Zeiten, das ist ausgeschlossen. Es wäre unschicklich und gefährlich.«
Sie verzog spöttisch den Mund. »Deine Sorge um meine Tugend ist rührend, Bernhard, aber ein bißchen verspätet, denkst du nicht? Keine Bange. Ich werde natürlich nicht als Frau, sondern als Knabe reisen. Du mußt mir nur ein Pferd besorgen. Um den Rest kümmere ich mich selbst.«
Er dachte eine Weile nach, das bärtige Kinn auf die Faust gestützt. Schließlich zuckte er die Schultern. »Roswitha, wenn du mir dieses Säckchen bringst, dann …«
»Ja?«
»Dann … ähm … werde ich eine anständige Frau aus dir machen.«
»Indem du mich mit einem deiner leibeigenen Schweinehirten vermählst?«
»Ich meine, ich werde dich heiraten.«
Roswitha schlang die Arme um die Knie und lächelte.
Es war ihr nicht fremd, im Herrensitz zu reiten – da sie als einziges Mädchen mit drei flegelhaften Brüdern aufgewachsen war, hatte sie vernünftig reiten, auf Bäume klettern und Regenwürmer essen müssen, um zu überleben. Aber ihre neuen Kleider waren doch gänzlich ungewohnt, sie zwickten und scheuerten an den unmöglichsten Stellen.
Agnes von Österreich, die blutjunge Herzogin und Roswithas einzige Vertraute an diesem Hof, hatte ihr bei der Beschaffung der neuen Gewänder geholfen, ohne Fragen zu stellen. Agnes langweilte sich am Hof ihres mehr als doppelt so alten Gemahls, und jedes kleine Abenteuer war ihr willkommen. Von allen Knappen am Hof, die reich genug waren, um mehr als nur die Kleider zu besitzen, die sie am Leibe trugen, hatte sie ohne Angabe von Gründen ein Teil gefordert. So kam es, daß Roswitha nun die Wickelunterhosen eines dreizehnjährigen Rittersohns aus Köthen trug, Beinlinge eines Knaben aus Staßfurt, ein langärmeliges Wams aus Sindekume und so weiter und so fort. Das wadenlange Surkot, Mantel, Kapuze und knöchelhohe Lederschuhe vervollständigten ihr Kostüm.
Sie hatte sich die ohnehin nicht sehr üppige Brust straff gewickelt, und das schlichte braune Surkot war ihr ein wenig zu groß. Mit einem Ledergürtel gerafft, verbarg es ihre Formen hinreichend. Die verräterischen blonden Locken waren straff geflochten und aufgesteckt und unter der anliegenden Kapuze mit dem langen Zipfel verborgen. Sie hatte sich in Agnes’ kostbarem Spiegel betrachtet und war zufrieden. Niemand würdesie behelligen oder überfallen, denn mit den zusammengewürfelten Kleidern und dem alten Klepper, den Bernhard ihr besorgt hatte, sah sie aus wie der Sohn irgendeines Bettelritters. So war es genau richtig.
Sie hatte Glück. Kurz nach ihrem Aufbruch am frühen Morgen fand sie einen Flußschiffer, der eine Ladung Salz und burgundischen Wein nach Magdeburg brachte. Er erklärte sich bereit, Roswitha und ihren Gaul für einen halben Silberpfennig bis nach Roßlau mitzunehmen, wenn »der junge Herr« des Nachts helfen wolle, die kostbare Fracht zu bewachen. Dankbar willigte Roswitha ein, und die Frau des Schiffers fütterte den mageren jungen Passagier voll mütterlicher Fürsorge mit geschmortem Fisch und Eintopf. Niemand an Bord warf Roswitha argwöhnische Blicke zu, niemand bezweifelte, daß sie der war, für den sie sich ausgab. Allmählich entspannte
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