Die sieben Häupter
verschwunden ist er, und das Luder mit ihm.«
Einen Moment herrschte verblüffte Stille, dann brachen dieMänner in Gelächter aus. »Durchgebrannt ist sie mit dem Kerl …«, prustete einer. Und ein anderer krakeelte: »Da hast du die Mitgift gespart!«
Segelohr verzog das Gesicht und spuckte ins Stroh. »Von mir aus kann sie mit dem Halunken nach Cathay zurück, wo er angeblich hergekommen ist, mir ist es gleich. Meine Bertha brütet. Vielleicht krieg ich doch noch einen Sohn …«
Die Nachricht gab Anlaß zu neuer Ausgelassenheit und weiteren Zoten, die verschwundene Tochter war auf einen Schlag vergessen.
Roswitha saß stockstill an ihrem Platz, hielt den Holzbecher, welchen der Wirt ihr gebracht hatte, in beiden Händen und starrte hinein. Ihr Herz hämmerte. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Noch keine Stunde war sie hier, und schon hatte sie die erste Spur gefunden …
Die Erregung hatte ihr den Appetit verschlagen. Als der Wirt eine Schale mit fettem Hammeleintopf vor ihr auf den Tisch stellte, begann sie mechanisch zu essen, aber sie ließ Segelohr und seine Kumpane nicht aus den Augen.
Als die Männer sich erhoben, um heimzugehen, stand sie ebenfalls auf.
»He, wohin so eilig, junger Freund?« rief der Wirt stirnrunzelnd. »Du gehst hier nicht raus, eh du das Essen und das Bier bezahlt hast.«
Sie schnipste ihm eine kleine Münze zu, die er geschickt auffing. »Ich geh’ nur den Gaul versorgen«, erklärte sie beschwichtigend. »Wo kann ich ihn unterstellen?«
»Der Stall ist links hinterm Haus, gleich neben der Kackbude«, erklärte er.
Roswitha fuhr leicht zusammen. Solche Worte benutzte man in ihrer Gegenwart für gewöhnlich nicht – nicht einmal Bernhard von Aken. Sie mußte sich ein Grinsen verbeißen, ging mit tief gesenktem Kopf zur Tür und schlüpfte hinaus.
Inzwischen war es Nacht geworden, doch das klare Wetter hielt, und der halbe Mond beleuchtete den kleinen Platz vor dem Gasthaus. Etwa zwanzig Schritte entfernt sah sie die Umrisse der Männer und folgte ihnen im Schatten der Ulmen, die den Weg säumten.
Segelohr war selbst bei Nacht unverkennbar. Ohne große Mühe heftete sie sich an seine Fersen. Er ging etwa hundert Schritte den Weg entlang und steuerte dann eine der Bauernkaten an, die ihn säumten.
Roswitha wartete, bis er im Haus verschwunden war. Dann schlich sie in den kleinen Hof, der dahinter lag. Sie hoffte, ein Fenster zu finden, durch das sie ins Innere spähen konnte. Geduckt tastete sie sich die Bretterwand entlang. Gerade hatte sie eine dunkle Fensteröffnung entdeckt, als sie von hinten gepackt wurde und sich eine große Hand über ihren Mund legte.
»Und wer magst du sein, daß du dich so brennend für einen Fremden aus Cathay interessierst?« fragte eine leise Stimme direkt an ihrem Ohr. Es war eine angenehme, junge Stimme, und sie sprach nicht einmal unfreundlich. Aber im nächsten Moment spürte Roswitha eine kalte Klinge an der Kehle.
3. Kapitel
Kloster Nienburg, April 1223
S terne funkelten. Fledermäuse strichen um die Türme der Basilika. Wie Bleistaub erschwerte das Gesetz des blinden Abts das Atmen. Sie nannten ihn Greif, behaupteten, er könne durch Wände gehen und beherrsche jeden Stein, jede Pflanze im Garten und jedes Fenster. Ohne daß er zu sehen war, überwachte er das summum silentium der Klosterbrüder. Das Nachtgebet verflüchtigte sich zwischen den Balken an der Schlafsaaldecke, und die Mönche lagen stumm, als hätte man ihnen Knebel in die Münder gestopft. Stille, die von den Wänden dröhnte. Es ist Schweigen befohlen! drohten die Steine. Hütet eure Lippen! wisperten die Kräuter hinter dem Gartenzaun. Am südlichen Stadtrand knarrte die alte Mühle, erschöpft und machtlos.
Und doch war da Leben. Im Schatten der hohen Klostermauer legten sich zwei Finger auf einen fremden Mund. Flüstern: »Nur leise!«
»Warum das?«
Ein Stab deutete zum steinernen Haus hinauf.
»Wie soll er uns hier unten hören?«
»Kennst du nicht die Geschichte vom Blinden in Havelberg, der die heranschleichenden Lutizen Stunden vor ihrem Angriff bemerkte, und niemand wollte ihm glauben? Der Greif hockt dort am Fenster in der Schwärze, wir sehen ihn nicht, aber er lauscht ganz gewiß. Jedes Wort versteht er, ich fühle das.«
»Dann laß uns slawisch sprechen.« Der Jüngere wechselte die Sprache. »Wo hast du das Säckchen versteckt?«
»Denkst du, ich bin so dumm? Du erfährst es erst, wenn du deinen Teil der Abmachung erfüllt hast.«
»Es ist so
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