Die sieben Häupter
Grundstein gelegt hat, arbeiten sie daran, und wenn ich den Gerüchten glauben darf, dann ist es zur Zeit die Westfassade mit zwei Türmen, die sie errichten und schmücken. Chor und Langhaus sind schon fertig, stellt Euch das vor: Vierhundertdreißig Fuß ist die Kathedrale lang, unddas Gewölbe hat eine Höhe von unglaublichen hundertfünfzehn Fuß. So zumindest heißt es. Wen wundert es, daß es eine Ewigkeit dauert, dieses Bauwerk zu errichten? Aber es wird kein zweites jener Art auf der Erde –«
»Bringt den Wagen zum Halt!«
»Wie komme ich dazu? Wollt Ihr mich bedrohen?«
»Unsinn. Man lauert hier am Wegrand.«
»Ich verwalte das Land für Nienburg. Wenn es Unruhen unter den Bauern gibt, muß ich mich darum kümmern.«
»Keine Bauern –«
»Dobresit!« rief eine tiefe Stimme. Ein einzelner Mann trat in etwa fünfzig Schritt Entfernung auf den Weg. Er trug das schwarze Habit der Benediktiner.
»Fort! Ihr habt dem Karren Vorfahrt zu gewähren.«
Der Mönch stand reglos.
Dobresits Pferde schnaubten. »Aus dem Weg!«
Kurz vor dem Zusammenprall warf sich der Zupan in die Zügel und zog die Wagenbremse. Ratternd und scheppernd kam der Karren zum Stehen. »Was soll das? Wie könnt Ihr Euch mitten auf die Straße stellen?«
Weiße Haare spielten federleicht im Wind. Brauen ragten wie Flügel über knochige Schläfen. Den schiefhängenden Mund umzäunten Falten. Einäugig musterte der Mönch Ludger, Dobresit, sie. Das rechte Auge hielt er halb geschlossen. »Ich bin hier, um mit dir zu reden, Zupan.«
»Es ist lange kein Besuch mehr aus dem Kloster in Borgesdorf gewesen«, murmelte Dobresit. »Hoffe, Ihr habt gute Nachrichten. Weshalb muß es ein Gespräch mitten auf der Straße sein?« Im Wagen winselte der Hund.
»Ich bin der Senpekte Hagatheo. Wer sind deine Begleiter?«
»Ein Herr von Repgow und ein Herr von Rietzmeck.«
»Handelspartner?«
»Nein. Wir sind uns auf dem Weg begegnet.«
»Du behauptest also, sie stecken nicht mit drin. Wir werden sehen. Wo ist Tezlaw?«
»Einen Augenblick«, unterbrach ihn Ludger. »Was werft Ihr uns vor?«
Der Mann in der schwarzen Benediktinerkutte würdigte ihn keines Blicks. Rings um ihn sank der Straßenstaub zu Boden. »Rette deine Haut, Dobresit. Rede! Wo verbirgt sich Tezlaw?«
»Ich weiß es nicht. Warum sucht Ihr ihn?«
»Der Abt hat einige Fragen. Du weißt genau, worum es geht.«
Roswitha kannte diesen Zustand, in dem sich ihr Körper versteifte und die Kehle keinen Ton von sich gab. Wie oft hatte sie dagegen angekämpft, wenn Bernhard von Aken ihr Furcht einjagte! Wie oft hatte sie sich gezwungen, regelmäßig zu atmen, klare Gedanken zu fassen, eine starke Frau zu sein. Im Grunde war dies eine ähnliche Lage. Der Mönch versuchte, Ludger, Dobresit und sie zu beherrschen, und es galt, sich aufzurichten und zu wehren. Hagatheo war im Recht, sicherlich; Dobresit hatte seine Hände häufig in dunklen Geschäften, oft waren er oder einer seiner Verwandten angeklagt gewesen, wenn sie mit dem Vater auf Schöffenreise gewesen war. Aber sie war nicht willens, seinen Untergang zu teilen.
»Wo sind meine Frau und meine Töchter?« fragte der Dorfälteste.
»Das weißt du nicht? Wie soll ich es dann wissen?«
Dobresit sandte einen erleichterten Blick zum Himmel.
Spöttisch verzog der Mönch den schiefen Mund. »Ein Mann wie du und Fürsorge für die Familie? Wer hätte das gedacht. Aber bilde dir nicht ein, daß du mich damit erweichst. Allein der Abt entscheidet, was mit ihnen geschieht. Vielleicht dienen ihre Schreie als kleine Aufmunterung, damit du den Mund öffnest.«
»Hagatheo!« Roswitha legte die Stirn in Falten. »ErwartetIhr, daß ich mir das untätig anhöre? Ihr sprecht mit einem angesehenen Dorfältesten und laßt nicht davon ab, ihn zu beschimpfen. Nun bedroht Ihr auch noch schutzlose Frauen! Ich hoffe, Ihr habt eine gute Erklärung.«
Das Auge unter dem halbgeschlossenen Lid begann unruhig umherzuwandern. Am Stab, den er in der Hand hielt, färbten sich Hagatheos Knöchel weiß. »Was erdreistet Ihr Euch?« zischte er.
»Ja, ich erdreiste mich. Ich erdreiste mich, Euch aufzufordern, Eure Anschuldigungen einzustellen oder zu beweisen, daß sie wahr sind. Was werft Ihr Dobresit vor?«
Der Mönch zog das offene Auge ebenfalls zu einem schmalen Schlitz zusammen. »Ist Euch nicht klar, daß auch Ihr mich ins Kloster begleiten werdet? Verspielt nicht meinen guten Willen! Wer in der Bärenfalle sitzt, sollte nicht mit den Armen
Weitere Kostenlose Bücher