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Die sieben Häupter

Die sieben Häupter

Titel: Die sieben Häupter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Belinda; Kinkel Richard; Rodik Ruben; Dübell Malachy; Wickenhäuser Mani; Hyde Tessa; Beckmann Horst; Korber Helga; Bosetzky Titus; Glaesener Rebecca; Müller Guido; Gablé Dieckmann
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die Weiden verschwanden, die Kirchtürme verschwanden. Wie zähes Pech ergoß sich Dunkelheit über die Welt.
    »Ludger, wir müssen beten. Etwas Schreckliches geschieht hier.«
    »Nein, wartet. Ich glaube, ich weiß, was das ist. Ihr wart nicht in der Klosterschule – heißt das, man hat Euch überhaupt nicht in den freien Künsten unterrichtet?«
    »Warum fragt Ihr?«
    »Wegen der Astronomie. Im Quadrivium lernt man die Planeten kennen.«
    »Ich weiß, daß es Planeten gibt.«
    »Und Ihr wißt, daß die Erde eine Kugel ist?«
    »Ja. Es ist der Grund dafür, daß man von einem Schiff, das am Horizont erscheint, zuerst die Segel sieht und dann den Rumpf. So hat mein Vater es mir erklärt.«
    »Gut. Um diese Kugel nun kreisen die Planeten, die Sonne und auch die Sterne. Ptolemäus lehrt uns das. Auch der Mond ist ein Planet. Und Aristoteles hat über die Verfinsterung des Monds geschrieben. Sie wird dadurch verursacht, daß die Erde zwischen Sonne und Mond tritt. Habt Ihr den Schatten genau beobachtet, der den Mond verschlungen hat? Er war rund, denn es war der Schatten der Erde.«
    »Ihr meint –«
    »Es ist kein Zeichen. Es ist erklärbar.«
    Roswitha schwieg. Sie versuchte sich das Universum vorzustellen: die Erde in seinem Zentrum und auf kreisförmigen Bahnen ringsherum der Mond, die Planeten, die Sonne, die Sterne sie umrundend. Daß die Erde in diesem riesigen Wunderwerk einen Schatten warf! Und es sollte kein Zeichen sein? Kein Wunder, das Gott bewirkte? O nein. Sie spürte es vom Scheitel bis in die Zehenspitzen, daß es ein Wunder war. Es ließ sie vibrieren. Ein fremder Ton war angeschlagen, ein Ton, wie ihn wenige Menschen in ihrem Leben hörten. Das mußte sie Ludger sagen. Aber wie? Sie dachte nach.
    Schließlich sagte sie: »Ihr wißt, daß Kaiser Friedrich die Vögel liebt. Er hat entdeckt, daß sie im Winter fortfliegen und im Frühjahr zurückkehren, weil sie in der Winterkälte hier nicht genug Futter finden. Sie reisen in wärmere Länder. Früher dachte man, daß die Vögel in den zugefrorenen Seen überwintern oder im Sumpf versinken, um dann im Frühjahr wieder hervorzukommen. Daß wir nun die Wahrheit kennen – gibt uns das Grund, weniger darüber zu staunen, daß die Vögel wiederkehren? Gibt uns das Grund, damit aufzuhören, Gott für ihre Rückkehr zu danken? Er hat sie geschaffen! Er verleiht ihnen Sehnsucht nach der Heimat, so daß sie nicht inden warmen Ländern bleiben, sondern sich erneut auf die Reise machen. Und dafür verdient er Bewunderung.«
    »Ihr habt recht. Dennoch: Wenn Ihr selbst den Wald angezündet habt, seht Ihr den Brand nicht mehr als Strafe Gottes, als Zeichen an, richtig?«
    »Natürlich nicht.« Sie schwieg einen Moment. »Wie habt Ihr das gemacht mit dem Mond? Ich meine, wie habt Ihr ihn rot gefärbt und dann ausgelöscht?«
    »Was soll die Frage? Ihr wißt genau, daß kein Mensch das kann.«
    »Ich will nur sagen: Wir haben den Wald nicht angezündet, nur weil wir verstehen, wie es zum Brand kam. Ein Mann, der in die Wolfsgrube fällt und sich das Bein bricht, versteht auch, wie ihn sein Retter herauszieht. Trotzdem hätte er es allein nicht geschafft und sollte dankbar sein, daß man ihn gefunden hat und ihm hilft.«
    »Aber sollte er sich wundern? Dankbarkeit, ist das nicht etwas anderes als das Staunen über ein Wunder?«
    »Ludger, Ihr seid seltsam.«
    »Mag sein.«
    Die Finsternis war fürchterlich. Sie flößte Roswitha Angst ein. Zögernd streckte sie den Arm zur Seite, bis ihr Handrücken Ludgers Arm berührte. Sie trat näher an ihn heran, und er schwieg, duldete die Berührung. So standen sie, bis das Licht die Welt zurückeroberte. Der Schatten spie den Mond wieder aus, Stück für Stück. Rot schimmerte sein Licht auf den Wellen der Saale. Die Weiden kehrten zurück, die Kirchtürme. Und dann wusch Gott das Blut vom Mond, bis er wieder weiß war wie Schnee.

5. Kapitel
    Kloster Nienburg, April 1223
    E r weiß also nichts. Er weiß nichts …« Die Worte, die der Mann mit den vernarbten Augenhöhlen über seine zerrissene Zunge herausbrachte, hörten sich an wie das Gekrächze eines Menschen, der gerade erdrosselt wird. Nur daß sie kein Mitleid hervorriefen. Er stand in dem Lichtfleck, der durch das kleine, vergitterte Fenster unter der Decke fiel. Die Schatten der Stäbe malten ein Muster auf sein Gesicht. Als wäre er selbst gefangen, dachte Ethlind. Sie fror. In der winzigen Zelle war es eiskalt.
    Mußten die Mönche nicht an Gebeten teilnehmen?

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