Die sieben Häupter
Kraft gegen meinen Kopf geworfen.«
»Nun, ich dachte mir, Ihr zieht es vor, nicht mehr allzu lange in den Pranken des Bauern festzuhängen. Es hatte sich draußen so angehört, als ob Ihr keine Luft mehr bekämt. Aber wenn ich mich da geirrt habe, dann –«
»Nein, nein, verzeiht.«
»Und nebenbei bemerkt …« Nun tauchte auch sie die Hand ins Wasser. Vorsichtig tastete sie mit den nassen Fingern nach dem Schorf am Hinterkopf. »Wißt Ihr, es war auch keine große Freude, von Euch gegen die Tischkante gestoßen zu werden.«
»Entschuldigt.« Ludger grinste. »Ihr hattet recht. Die Repgows sind Sturköpfe. Woher wißt Ihr das?«
»Mein Vater war Schöffe. Er ist mit Eike umhergezogen von Gericht zu Gericht, und mich haben sie manchmal mitgenommen.«
»Das erklärt, warum Ihr das Sachsenrecht kennt wie ein Köhler seine Hütte.«
Welche Träume hatte sie damals gehabt! Einen Grafensohn wollte sie heiraten und ihn bei seinen Rechtsgeschäften beraten. Sie wollte zwei Söhne aufziehen, wollte ihnen einen Lehrer bezahlen und sie zu Meistern der freien Künste machen, klug wie Eike, stark wie ihre Brüder. Aber was half es, Arme und Beine wie ein Frosch zu bewegen, wenn das Leben ein Moor war und kein See? Die Roswitha jener Tage gab es nicht mehr. Sie war mitsamt ihren Träumen ersoffen. »Das mit der Laute tut mir leid. Sie ist nicht mehr zu reparieren, oder?«
»Jedenfalls nicht von mir. Ich weiß nicht, wie man das Holz einweicht und zu einem Halbrund formt.«
»Bootsplanken werden über dem Feuer erhitzt und gleichzeitig fortwährend befeuchtet. Vielleicht ist –«
»Ich möchte Euch nicht zum Bruder haben. Menschen, die alles zu wissen meinen, sind unausstehlich.«
Nun lachten beide. Roswitha brach bald ab und hielt sich den dröhnenden Kopf. Sie saßen auf, um das Dorf zu verlassen. Bald umgab sie nur noch Weideland, von Feldern und Waldflecken unterbrochen, während sie der Straße nach Borgesdorf folgten.
»Sagt, habt Ihr schon einmal ein Mädchen geküßt? Was frage ich – ein Bursche von Eurem Aussehen! Es müssen Dutzende sein.«
Gedankenverloren tastete Roswitha nach ihren Lippen. Zwei Männer hatten sie besessen: Konrad, den sie auf eine gewisse Art geliebt hatte, und Bernhard, der über die Macht verfügte, sie in Glück oder Unglück zu stürzen. »Kann mich nicht beklagen.«
»Bei mir war es kein Mädchen, sondern eine Frau. Welche Nacht! Ich hatte nie zu hoffen gewagt, je ihre Lippen zu berühren. Ihre Haut …«
Als Ludger nicht weitersprach, sah sie zu ihm hinüber. Es war offensichtlich, daß er träumte: Die Hände mit den Zügeln waren hinabgesunken, der Blick hing in der Ferne.
Unvermittelt zuckte Roswitha zusammen. Fingerspitzen strichen über ihren Nacken, kühl wie von der Hand eines Toten. Nozo, der Klepper, hatte sie den ganzen Tag mit hängendem Kopf getragen und müde einen Tritt vor den anderen gesetzt. Warum reckte er nur den Hals in die Höhe? Warum drehte er die Ohren nach vorn? Nozos Schweif pfiff durch die Luft. Ein Zittern lief über seinen Hals.
Etwas stimmte nicht.
Die Felder rechts und links des Wegs, gehörten sie noch zu Drogonize? Oder waren es abgelegene Besitzungen Borgesdorfs? Seltsam, daß die Bauern das späte Tageslicht nicht nutzten. Verlassen lag die braune Erde.
Im Waldstück zur Rechten wieherte ein Pferd. »Was …?« flüsterte Roswitha. Ludger schien nichts zu bemerken; er ließ sich vom Pferderücken wiegen und starrte ins Leere.
Eine Bewegung im Straßengraben: Ein schwarzes Fellbündel tauchte unter einen Strauch. Roswitha schluckte. Fest umklammerte sie die Zügel, bohrte die Daumennägel in das harte Leder. Mit den Schenkeln lenkte sie Nozo näher an Ludgers Fuchsstute heran. Sie tippte Ludgers Bein mit der Fußspitze an.
Ein Blitzen von Eisen auf der anderen Straßenseite. Augenpaare, die durch die Gräser spähten.
»Ludger«, sagte Roswitha laut, »kennt Ihr die Weise: ›Warte nur, Mägdelein?‹«
»Singt sie für mich. Ich kenne sie nicht.«
Roswitha intonierte: »Wa-harte nur, Mägdelein, draußen im Wald. Vogelgesang stimmt dich sanft.«
»Hört auf! Mir ist nie jemand begegnet, der die Freuden der Musik derart zu verunglimpfen in der Lage war. Ihr trefft keinen einzigen Ton!«
Unbeirrt sang sie weiter: »Doch schleicht sich ein Wolf an, droht dir Gefahr! Ja, so dro-hoht di-hir Gefahr.«
»Das soll ein Lied sein? Konrad …« Ludger stutzte. Er schoß kurze Blicke zu den Seiten. »Was für ein Lied, Burg und Graben, was
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