Die sieben Häupter
für ein Lied. Reitet schneller, sonst erreichen wir Nienburg nie.« Sie trabten an.
Durch die Luft zog ein Knistern wie von einem schwelenden Feuer. Unsichtbare Krallen holten nach ihnen aus. Haken legten sich um sie, zogen, zerrten. Sie ritten harten Trab, dann Galopp.
Keuchen.
Donnern der Hufe.
Staub. Angsterfüllte Blicke zurück.
Endlich passierten sie das Waldstück. Sie preschten voran, bis es weit hinter ihnen lag. Schließlich zügelte Roswitha ihren Klepper, und auch Ludger brachte die Stute zum Stehen. »Was war das?« raunte er.
»Sie haben uns aufgelauert im Graben.«
»Die warten auf jemand anderen. Hätten sie uns gemeint, dann wären sie uns in die Zügel gefallen.«
»Vielleicht wollen sie Händler ausrauben und haben gesehen, daß wir nichts bei uns tragen?«
»Nun, wenn Ihr gestattet: Ihr tragt schäbige Kleider. Niemand würde bei Euch eine pralle Geldkatze erwarten.«
»Sobald wir das Kloster erreichen, müssen wir von den Lauernden berichten. Eine furchtbare Vorstellung, daß sie bei Einbruch der Dunkelheit auf dieser Straße ihr Unwesen treiben.«
»Hätten sich Räuber nicht bis zum Abend im Wald verborgen?«
Eine Staubwolke quoll in einiger Entfernung vor ihnen ausder Straße. Sie näherte sich und schob etwas Dunkles vor sich her. Wagenräder rumpelten. Roswitha und Ludger lenkten ihre Pferde an den Wegrand, um Platz zu machen. Ein Karren näherte sich. Roswitha beugte sich im Sattel vor: »Dobresit? Zupan?«
Der Mann auf dem Kutschbock zügelte die Pferde zu langsamem Schritt, strich sich die grauen Haare aus der Stirn. Seine breitflüglige Nase war von Pockennarben übersät, die braunen Augen darüber blickten kühl, erstaunt. »Was wünscht Ihr?«
Roswithas Herz setzte aus. Hatte er sie erkannt? Sie musterte den Zupan. Nein. Er schwieg zu lange. Längst hätte er die Brauen angehoben und einen geheuchelten Freudenschrei ausgestoßen, um die Tochter seines Widersachers zu begrüßen.
Eilig ritt sie eine Wende, um Nozo neben dem Karren herlaufen zu lassen. Ludger erschien auf der anderen Seite des Wagens. »Ich bin Konrad von Rietzmeck«, sagte sie. »Das ist Ludger von Repgow. Wir sind unterwegs nach Nienburg.« Bemerkte Ludger, daß sie ihre Stimme verstellte? Sie durfte es nicht übertreiben, sonst täuschte sie zwar Dobresit, aber der Repgow schöpfte Verdacht.
Im Wagen kläffte ein Hund. »Aus!« Dobresits Jüngster schlug das Segeltuch beiseite. Neben seinem Gesicht, das dem des Zupan ähnelte, erschien eine helle Hundeschnauze.
»Wißt Ihr Neues zu berichten vom Kloster?« Einen Augenblick lang glaubte sie, Dobresit sei ein wenig bleicher geworden nach dieser Frage, aber dann verwarf sie den Gedanken. Das schräg fallende Abendlicht mochte täuschen.
»Nun, es tobt der alte Streit zwischen dem Vogt, Graf Heinrich von Anhalt, und Abt Gernot. Heinrich läßt häufig Gericht halten auf dem Gebiet des Klosters und schiebt die Einnahmen daraus in sein Säckel, außerdem verlangt er Zoll vonden Klösterlichen auf den Brücken bei Bernburg und Strenz. Wenn es nach dem Greif geht, würde der Vogt auf die hohe Gerichtsbarkeit beschränkt, und damit genug.«
»Was erzählt Ihr da von einem Greif?« Ludger runzelte die Stirn.
»So nennt man Abt Gernot im Kloster. Natürlich nur, wenn er es nicht hört. Aber ich denke, er weiß es sehr wohl.«
Unruhig blickte Roswitha zum Wald hinüber, dem sie sich näherten. »Der Streit, von dem Ihr erzählt, ist ein altes Lied. Die Herrschaften singen es wieder und wieder. Hat sich nichts Neues zugetragen? Sprecht offen mit uns. Als Gegenleistung retten wir Euch vielleicht das Leben.«
»Mich retten?« Der Zupan schüttelte den Kopf. »Ihr macht seltsame Angebote. Ich befinde mich auf meinem Land. Außerdem gibt es nichts Neues. Nun, Heinrich verlangte kürzlich ein Geleitgeld von den Besuchern des Nienburger Markts. Ihr könnt Euch denken, wie der Greif getobt hat.«
»Ich habe eine Vorstellung. So wird er einen Repgow ungern sehen, ist zu fürchten?«
Dobresit tippte sich an die Nasenspitze. »Da habt Ihr freilich recht. Ihr habt nicht den besten Zeitpunkt gewählt für einen Besuch des Klosters.«
»Wißt Ihr von einem Fremden, dessen Wunden im Kloster geheilt werden?«
Dobresit schwieg einen Augenblick. »Nein, davon weiß ich nichts.« Er lachte kurz auf, redete dann plötzlich schnell, flog über die Worte dahin, nuschelte: »Habt Ihr vom Bau der Kathedrale Notre Dame de Paris gehört? Seit der Papst vor sechzig Jahren den
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