Die sieben Häupter
Feindseligkeit.
Ludger. Roswithas Magen krampfte sich einen Moment zusammen, als sein Gesicht sich gar zu klar in ihre Erinnerung schob. Aber sie war nicht Ethlind. Sie verlor ihr Herz nicht an einen Mann. Schon gar nicht an einen, der sie betrügen würde, sobald er in Händen hielt, was er begehrte.
Es waren andere Dinge, die zählten.
Eine Kemenate, in der bei Kälte geheizt wurde. Ein Gatte, der Schutz vor Mord und Willkür bot. Genügend Speise, wenn im Winter die Verhungerten aus den Elendshütten getragen wurden.
»Ihr sucht einen Beutel, und ich weiß, wer ihn bei sich trägt«, sagte Roswitha.
Hagatheo packte ihren Arm so fest, daß sie geschrien hätte, wenn sie den Griff nicht von Bernhard gewohnt gewesen wäre.
»Der Repgow.«
Sie nickte. »Ich bin hier, um herauszufinden, was der Abt für diesen Beutel zu zahlen bereit ist. Aber mir gefällt mein Auftrag nicht mehr.«
»Dann heraus damit. Wo steckt der Bursche?«
»Ich will Euren Schwur, daß ich frei fortgehen darf, wenn ich es Euch gesagt habe. Schwört auf das Kreuz des Herrn.«
Der Mönch schüttelte sie, und diesmal tat es wirklich weh.
»Ludger von Repgow wartet, bis die Sonne untergegangen ist, aber nicht länger. So war unsere Abmachung«, drohte Roswitha.
Ihrer beider Augen wanderten zum Himmel. Das Firmament leuchtete, als wäre der Thron des Herrn in Brand geraten. Hagatheo ließ Roswitha los, er nahm sein Kreuz auf,das vor seiner Brust baumelte, und legte die Schwurhand darauf. »Ich schwöre es dir. Du kannst gehen.«
»Ludger von Repgow wartet bei der Kirche in Grimschleben. Und das schwöre ich ebenfalls.«
Ein Mund, der die Wahrheit sagt, hat für immer Bestand . Roswitha sah zu, wie der Senpekte ein Pferd aus dem Stall zerrte und sich auf den ungesattelten Rücken schwang. Er warf einen Blick über den Hof, aber die Mönche saßen noch immer im Kapitelsaal, und die Laienbrüder nahmen vielleicht gerade das Nachtmahl zu sich. Wenn er sich allein auf den Weg macht, ist Ludger ihm überlegen, dachte Roswitha. Aber in diesem Moment ritten zwei Bewaffnete durchs Tor, die offenbar auf der Jagd gewesen waren, denn an ihren Sätteln baumelten Fasane. Der Mönch wechselte mit ihnen einige leise Worte. Dann drehte er sich zum Gästehaus.
»Die Neue darf raus. Die bei dir ist, nicht«, rief er. Und die Männer stoben davon.
7. Kapitel
Burg Köpenick, Mai 1223
P ribislaw war zwei Tage früher als geplant von einer Mission in der Lausitz nach Köpenick zurückgekehrt, weil ihm einer seiner Knappen in einem See bei Teupitz ertrunken war. »Jede Hilfe kam zu spät.«
»Ja, der Tod …« Jakob von Klosterbruch, der Burgherr, seufzte ein wenig theatralisch. »Media vita in morte sumus. So steht es bei Hartmann von Aue. Daz diutet sich alsus, daz wir in dem tôde sweben, so wir aller beste wænen leben …«
Pribislaw ging nicht weiter darauf ein. »Gregorius hatte gerade gut getrunken und gegessen und war in wunderbarer Stimmung, als er ins Boot stieg.«
Der Burgherr ließ sich nicht beirren und zitierte weiter aus dem Gedächtnis: »Unser bluome der muoz vallen, sô er aller grüenest wænet sîn.« Er seufzte abermals und noch ein wenig tiefer. »Ach, ja, wir sîn von brœden sachen.«
»Wir sind aus einem gebrechlichen Stoff«, wiederholte Pribislaw. »So ist es.«
»Hartmann von Aue, Der arme Heinrich . Hast du den schon gelesen?«
»Ja, früher einmal …« Pribislaw suchte sich zu erinnern. »Der arme Heinrich, das ist ein Mann irgendwo unten im Schwäbischen, der todkrank ist und nur gerettet werden kann, wenn er eine Jungfrau findet, die ihm zuliebe den Tod erleiden will. Sie reisen nach Salerno, und als sie sich dann wirklich für ihn opfern will, greift unser Herr Jesus Christus ein und erlöst sie beide, das heißt, sie heiraten und leben glücklich und zufriedenbis an ihr Ende.« Dies sagte er mit leiser Ironie, die seinem Gegenüber aber entgehen mußte, weil der Burgherr nur mit sich selbst beschäftigt war.
Jakob von Klosterbruch war dafür bekannt, daß er ein und denselben Gedanken stundenlang hin und her wälzen konnte und alles mehrmals wiederholte, was ihm wichtig erschien. »Wie recht Hartmann doch hat: Wir schweben schon im Tode, während wir noch auf das angenehmste zu leben glauben.«
Pribislaw schüttelte diesmal den Kopf, um die Sache zu beenden. »Nein, so ist es nicht, denn wenn wir an den Tod denken, leben wir auf alle Fälle nicht mehr auf das angenehmste.«
»Vielleicht hast du recht.« Jakob von
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