Die sieben Häupter
Sinn, sich schreckliche Dinge auszumalen. Vorwärts mit tapferem Mut.
»Wir gehen ins Gästehaus«, entschied Roswitha.
»Niemals kommen wir hier heraus«, sagte Ethlind.
Roswitha hatte gehofft, daß sich ein Fenster in der Rückwand des Häuschens befände oder zumindest im Dach ein Rauchabzug, aber das einzige Licht fiel durch die Tür, und Feuer schien hier gar nicht gemacht zu werden. Wahrscheinlich war es den Mönchen ganz recht, wenn ihre Gäste es nicht allzu gemütlich hatten.
Sie saßen in der Falle.
»Soll ich dir die Lehre meines Lebens mitteilen?« fragte Roswitha.
Ethlind starrte sie an.
»Du darfst niemals ein Weib sein. Niemals ein Weib oder ein Kind oder alt oder krank. Aber wenn du eines davon bist, dann mußt du immer zuerst an dich selbst denken. Denn wenn du es nicht tust, dann tut es keiner. Verstehst du?«
Ethlind nickte unsicher.
»Ich kenne einen jungen Mann, der spielt auf einer Laute und singt dazu Lieder von Aventiuren und süßer Liebe. Kriemhild, Blancheflor … was weiß ich. Und soll ich dir sagen, was davon zu halten ist?«
Diesmal konnte sie nicht sehen, ob Ethlind nickte. Das Mädchen hatte sich in den hinteren Teil des Raums zurückgezogen.
»Du kannst darauf pissen .« Der ordinäre Männerausdruck paßte wunderbar zu ihrer Stimmung. Sie hätte ihn am liebsten wiederholt. Ethlind hob die Hand. Um zu protestieren? Oder … um zu warnen? Unwillkürlich machte Roswitha einen Schritt auf das Mädchen zu.
Und diese Bewegung rettete sie.
Die Männerhände, die nach ihrer Brust griffen, glitten ab und streiften nur noch ihre Hüfte. Roswitha konnte sich mit einem Satz in Sicherheit bringen und fuhr herum.
In der Tür, vom Abendlicht umkränzt wie von einem Heiligenschein, stand der Pförtner. Er lachte, und es schien ihm nicht das geringste auszumachen, daß sein Opfer vor ihm zurückwich. »Komm her, Mädchen, wir haben eine Verabredung. Und gern auch eine zu dritt. Ich kann viele glücklich machen.« Er stank nach Weihrauch.
Mit dem nächsten Schritt zurück stieß Roswitha an die Wand. Sie spürte, wie der trockne Lehm im Strohgeflecht herabrieselte, als sie sich dagegendrückte.
Gefangen. Wie damals, als Bernhard kam. Warum flatterte ihr Herz? Sie war es doch, verflucht noch mal, gewöhnt. Bernhard würde sich totlachen, wenn er sähe …
Der Mönch gab einen überraschten Laut von sich. Dann sank er hinab und fiel mit dem Gesicht vornüber. Einen Moment lang war es so ruhig in dem Raum, als hätte ein Hexenmeister ihn mit seinem Stab berührt und in einen Zauberschlaf versetzt.
Leise sagte Ethlind: »Ich habe ihn umgebracht.« Sie hielt etwas Sperriges in den Händen, vielleicht einen Dreifuß.
Abermals herrschte Stille. Schließlich kniete Roswitha nieder und faßte nach der Hand und dann nach dem Hals des Mönchs, der sich feucht anfühlte. Sie konnte keinen Pulsschlag spüren. Weil er tot war? Weil ihre eigene Hand zu sehr zitterte?
Seltsam. Die Tatsache, daß sie möglicherweise vor einem ermordeten Mönch kniete, daß sie vielleicht so schlimm in der Klemme steckte wie nie zuvor in ihrem Leben, klärte ihre Gedanken wie ein Regenguß die Luft eines staubigen Tages.
»Diese Ritter, die vorhin in das Kloster zurückkehrten, als du mich gewarnt hast – weißt du, was sie draußen zu tun hatten? Ethlind!«
Das Mädchen hob langsam den Kopf.
»Die Ritter! Was wollten sie vor dem Kloster?«
»Sie suchten jemanden.«
»Das Weib des Zupan?«
»Nein, jemand anderen.«
Aha. Wahrscheinlich den jungen Herrn von Rietzmeck, der so keck aufgetreten war, und den Herrn von Repgow. Denn beide waren mit Dobresit unterwegs gewesen, und also waren beide verdächtig in diesem Spiel, das vor lauter Winkelzügen niemand überschaute. Der Greif streckte seine Fänge in jede Richtung.
»Warte hier«, sagte Roswitha und war mit einemmal so ruhig, als wäre jeder Schritt, den sie tun, und jedes Wort, das sie sprechen würde, vorgezeichnet. Sie trat ins Freie und kniff einen Moment die Augen zusammen. Der Himmel war rot, ein wunderschöner Sonnenuntergang. Sie schritt über den Hof zu dem Haus, in dem der Senpekte des Abts lauerte.
Ethlind hatte recht beobachtet. Der Greis in der schwarzen Kutte trat ihr an der Tür entgegen.
»Sieh an, der junge Herr von Rietzmeck. Und eine wundersame Verwandlung hat stattgefunden. Welch holdes Antlitz.« Spöttisch betrachtete er Roswithas schmutziges Gesicht. Aber anders als bei Ludger lag in seinem Blick unverhohlene
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