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Die sieben Häupter

Die sieben Häupter

Titel: Die sieben Häupter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Belinda; Kinkel Richard; Rodik Ruben; Dübell Malachy; Wickenhäuser Mani; Hyde Tessa; Beckmann Horst; Korber Helga; Bosetzky Titus; Glaesener Rebecca; Müller Guido; Gablé Dieckmann
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an der Südmauer abgehalten? Ethlind wußte es nicht, und solange sie nicht sicher war, was nun zu tun sei, mußte sie sich verstecken. Um nachzudenken, um einen Ausweg zu finden. Vermutlich hatten die Benediktinerlängst bemerkt, daß sie ihrer Zelle entflohen war, und suchten nach ihr. Wenn sie es schaffte, sich bis nach Einbruch der Dunkelheit verborgen zu halten, so hätte sie eine Chance zu entkommen. Die Nacht war ihre Verbündete, denn die strengen Regeln des heiligen Benedikt zwangen die Mönche dann zum Nichtstun. Die Dunkelheit machte sie stumm und lahm.
    »In gloria Dei Patris«, beendete der Chor seinen Gesang. »Amen.«
    Im gleichen Augenblick begann das Vesperläuten, und das leise Echo von Schritten und Stimmen drang aus dem Gang in den Kirchenraum. Rasch lief sie in den hinteren Teil der Empore und wollte sich hinter einer Holzbank verstecken, als sie einen Haufen loser Backsteine und mehrere Bretter sah, die neben einem der niedrigen Seitenfenster gestapelt waren. Ethlind erinnerte sich, daß die Fassade der Kirche an einigen Stellen ausgebessert wurde. Ein Blitzschlag hatte vor wenigen Tagen das Mauerwerk auf der Ostseite beschädigt und einen Stützpfeiler zum Einsturz gebracht. Vermutlich dienten diese Materialien dazu, den Schaden zu beheben. Erst jetzt bemerkte Ethlind, daß das kleine Seitenfenster direkt über dem Boden ohne Verglasung war. Das Glas stand samt Rahmen neben der Öffnung. Ethlind näherte sich dem Fenster, bückte sich und schaute hinaus. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick über die Bodeniederung, die hinter der Klostermauer im rötlichen Dämmerlicht leuchtete. Doch Ethlind hatte kein Auge für die atemberaubende Landschaft, wie gebannt starrte sie auf eine Holzleiter, die unterhalb des Fensters an die Fassade gelehnt war und zu einem Gerüst führte, das über eine Länge von mehreren Klaftern vor der Kirchenmauer aufgebaut war. Dies mußte die Stelle sein, an der der Blitz eingeschlagen war. Ethlind schwindelte, als sie zu Boden schaute, und unter normalen Umständen wäre sie lieber gestorben, als auf diewacklige Leiter zu steigen. Doch es waren keine normalen Umstände. Dieses Holzgerüst und diese Leiter schickte ihr der Himmel, und es wäre einer Gotteslästerung gleichgekommen, sie nicht zu benutzen. Sie hielt die Luft an, setzte sich ins Fenster und tastete mit dem Fuß nach der obersten Sprosse. Dann machte sie ein Kreuzzeichen und kletterte hinunter.
    Zwei Stunden waren seit Sonnenuntergang verstrichen, und noch immer hockte Ethlind auf dem Holzgerüst hoch über dem Boden. Sie wagte es nicht, sich zu rühren, bei jeder Bewegung wackelten die Bretter unter ihr, und das Gerüst gab quietschende Geräusche von sich. Die Mönche hatten sich längst in ihre Schlafsäle zurückgezogen, kein Laut war zu hören, niemand hielt nach ihr Ausschau, nur die Fledermäuse zogen ihre Kreise um die Türme der Basilika. Dennoch wartete sie, denn für das, was sie vorhatte, brauchte sie Licht.
    Endlich ging der Mond auf und tauchte die Landschaft in ein diffuses, milchiges Licht. Wenn er sich nur nicht wieder verfinsterte, dachte Ethlind und erinnerte sich an jene fürchterliche Nacht, als der Mond geblutet hatte. Die Mönche hatten das Unfaßbare wie ein belustigendes Jahrmarktsspektakel betrachtet, als machte ihnen das göttliche Zeichen keine Angst, als hätten sie es erwartet. Ethlind jedoch hatte sich zu Tode gefürchtet. Es war ein böses Omen gewesen, das wußte sie mittlerweile, doch nun war es zu spät.
    Als der Mond eine Handbreit über dem Horizont stand, wachte sie wie aus einer Bewußtlosigkeit auf. Fort mit den bangen Gedanken! Nun galt es! Sie stand auf und wagte sich an den Rand des Gerüstes vor. An dieser Stelle stieß die Kirche beinahe mit der Klostermauer zusammen, die Fassade und das Gemäuer waren nicht mehr als zwei Klafter voneinander entfernt, durch das Gerüst verringerte sich der Abstand auf anderthalbKlafter. Wäre sie ein Mann gewesen und hätte Beinlinge getragen, so hätte sie vermutlich von ihrem Platz aus auf die Mauer springen können. Doch was dann? Wie sollte sie von der fuderhohen Mauer herunterkommen, ohne sich beim Sprung die Beine zu brechen? Nein, ihr Plan sah anders aus. Das Gerüst war etwa auf der gleichen Höhe wie die Mauerkrone, vielleicht sogar etwas höher, und wenn es ihr gelang, mit der Holzleiter Gerüst und Mauer zu verbinden, dann hätte sie eine Art Brücke, auf der sie kriechend zur Mauer gelangen könnte.

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