Die sieben Häupter
Und jenseits der Umfriedung floß die Bode.
»Bruder Hagatheo ist verschwunden?«
»Das hat zumindest Bruder Matthias behauptet.«
Ethlind hörte die Stimmen, bevor sie die Mönche sah, und ging hinter einem Pfeiler in Deckung. Zwei Männer näherten sich aus der Richtung, die sie für ihre Flucht gewählt hatte. Es war der Ausgang zum Abtritt, und von dort ging es ins Freie. Doch nun war ihr dieser Weg versperrt. Die beiden Mönche standen in der Tür und unterhielten sich.
»Was es wohl mit diesem Slawen auf sich hat? Wie kann ein dahergelaufener Bauer sich erdreisten, dem Abt Befehle zu erteilen. Eine Schande!«
»Seltsame Dinge gehen im Kloster vor, wenn du mich fragst, Hieronymus. Bruder Notker ist tot, Bruder Michael liegt mit eingeschlagenem Schädel im Hospital, zwei weitere Brüder wurden gemeuchelt, und der Keller ist voller Gefangener. Dies ist kein Kloster, sondern ein Kriegslager.«
»Nicht so laut«, erwiderte Bruder Hieronymus und bedeutete dem anderen mit einem Kopfnicken, den Raum zu betreten.»Laß uns ins Dormitorium gehen. Dort sind wir ungestört.«
Ethlind saß in der Falle. Zwar war sie hinter ihrem Pfeiler nicht zu sehen, doch der Weg ins Freie war blockiert. Es blieben nur der Gang zum Keller oder eine steinerne Wendeltreppe, die unweit des Stützpfeilers ins Obergeschoß führte. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wo die Treppe endete und was sie dort erwartete.
»Hast du gesehen, wie der Greif diesem Smurden begegnet ist? Als habe der Slawe eine seltsame Macht über ihn.«
»Und dann dieses andauernde Winken mit dem Zeigefinger! Kannst du dir erklären, was das bedeuten sollte? Und das irre Gestammel von dem Fingerzeig Gottes. Seltsam, oder?«
»Vermutlich ist der Bauer nicht bei Trost!« vermutete Bruder Hieronymus.
Da die beiden Mönche so angeregt in ihr Gespräch vertieft waren, konnte Ethlind auf Zehenspitzen zur Treppe und unbemerkt nach oben schleichen. Sie gelangte zu einem weiteren, ebenfalls verwaisten Schlafsaal von gleicher Größe, allerdings befand sich zu ihrer Linken ein Durchgang in der Mauer, den es im Erdgeschoß nicht gab. Ethlind kannte sich nur zu ebener Erde im Kloster aus, dort befanden sich der Kapitelsaal, der Speisesaal und eine Art Sprechzimmer. Ins obere Stockwerk war sie noch nicht vorgedrungen, vermutlich lagen hier die Bibliothek und die sagenhafte Schatzkammer, von der die Leute in weitem Umkreis sprachen. Überhaupt gab es viele Legenden und Schauergeschichten um das Kloster, es hieß, die Abtei sei durch einen geheimen Gang mit der nahe gelegenen Burg verbunden, so daß sich die Mönche bei einem Angriff samt Schätzen dort verschanzen konnten. Andere wollten gar von einem Tunnel nach Grimschleben gehört haben, was natürlich ganz undenkbar war, da sowohl die Bode als auch die Saale zwischen den beiden Orten lagen. Der Gang, der nunvor Ethlind lag, war jedoch alles andere als geheim, er war weder versteckt noch verschlossen, und so wagte sie sich schließlich hinein. Der Gang war schmal, aber mannshoch und gestützt von gemauerten Rundbögen. Nach wenigen Schritten bereits war es finster und kalt wie in einem Grab. Doch an dem leichten Luftzug erkannte Ethlind, daß sie sich nicht in einer Sackgasse befand. Einen seltsamen Geruch nahm sie wahr, der stärker wurde, je weiter sie sich vorwagte. Weihrauch! Ja, danach roch es. Und nachdem der Gang einen leichten Bogen beschrieben hatte und nun deutlich anstieg, fand sie die Erklärung für den Geruch. Denn ihr Schleichweg führte direkt in die Klosterkirche und endete auf einer Empore im Langhaus der Basilika, unmittelbar über dem Mittelschiff. Die Schlafsäle der Benediktiner waren also mit der Kirche verbunden, das war auch der Grund, warum Ethlind die Mönche und Laienbrüder selten beim Betreten der Basilika beobachtet hatte.
Genau in diesem Augenblick erklang ein vielstimmiger Chor aus dem Erdgeschoß des Langhauses, und als Ethlind einen Blick über die Balustrade wagte, sah sie einen Knabenchor mit Inbrunst das »Gloria« schmettern.
»Gloria in excelsis Deo!«
Sie trat von der Brüstung zurück und schaute sich suchend um. Im Osten schloß sich an das Mittelschiff der etwas niedrigere Chorraum an, und durch die Fenster auf der Nordseite des Langhauses sah sie die Burg in den Himmel ragen. Die Sonne schien bereits tief zu stehen, die Bäume warfen lange Schatten. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Mönche sich zum Vespergottesdienst versammelten. Oder wurde dieser in der Kapelle
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