Die sieben Häupter
Ezechiel?«
Der Mönch nickte und faltete seine Hände vor dem stattlichen Bauch.
»Vielleicht könnt Ihr mir helfen. Ich suche ein Mädchen.«
Ezechiel runzelte die Stirn, und Roswitha hob abwehrend die Hände. »Nein, nein, ich suche sie, weil ich eine Nachricht für sie habe, von ihrem Vater. Das letzte, was wir von ihr hörten, war, daß sie hier sei.«
»Wie heißt die Gute denn, mein Sohn?«
»Ethlind.«
»Hmm.« Die Falten auf des Mönches Stirn wurden nochtiefer. »Ethlind also, so, so. Ja, ein Mädchen dieses Namens war hier.« Er räusperte sich. »Um es gleich vorwegzunehmen, es ehrt dich nicht, sie zu kennen. Eine Teufelin ist sie, eine Teufelin.«
Roswitha vermeinte Ezechiels scharfen Blick förmlich zu spüren. »Beim Allmächtigen, was ist geschehen?« flüsterte sie aufgeregt.
»Sie hat Bruder Michael niedergeschlagen und sich dann davongemacht. Mit der Hilfe des Leibhaftigen ist sie von dannen geflogen.« Bruder Ezechiel drehte die Augen gen Himmel und schlug ein dreifaches Kreuzzeichen.
»Seither habt Ihr nichts mehr von ihr gehört oder gesehen?«
»Nichts. Und wir wollen auch nichts mehr von ihr hören, da sei Gott vor.«
Sein Blick huschte hinauf zu einem Fenster, hinter dem Roswitha eine Bewegung erahnte. Hatte der Greif sie schon erspäht? Fast erwartete sie, daß er sich wie eine Krähe aus dem Fenster stürzen und auf sie niederstoßen würde. Sie mußte sich beeilen. Wie konnte sie etwas über den Fremden aus Cathay erfahren? »Ich dachte ja auch, dieser Fremde, der bei ihr war, steht mit dem Leibhaftigen im Bunde. Bestimmt brachte er das Unheil. Was ist mit ihm? Sicher hat auch ihn der Teufel geholt?« Roswitha flüsterte die letzten Worte.
»Du weißt darum?« Der Mönch sah sie mißtrauisch an.
»Ich hörte davon. Und deswegen bin ich ja auch hier, ihr Vater schickt mich, sie aus den Fängen dieses Dämons zu befreien.« Roswitha zögerte. »Ich hoffte hier im Kloster Hilfe zu finden.«
»Nein, er ist der Teufelin nicht gefolgt, Gott weiß, wie sehr ich dies bedaure, und möge mir verzeihen. Aber solange dieser Fremde noch in unseren Mauern weilt, solange wird es keinen Frieden geben, dessen bin ich gewiß.« Ein Nicken verlieh seinen Worten Nachdruck.
Roswithas Herz tat einen Sprung. Also doch, wenigstens etwas. Der Fremde war noch da, wo auch immer. Ethlind hatte das Säckchen noch, war wohl auf dem Weg hierher. Sie brauchte nur zu warten. Aber nicht hier, unter den Augen des Greif. Sie mußte machen, daß sie fortkam.
Ezechiel griff ihren Arm, neigte sich vertraulich zu ihr herüber, so nah, daß sie seinen fauligen Atem roch. »Du hast recht, der Mann bringt Unheil. Jetzt liegt er im Hospital, als würde das etwas nützen. Der Leibhaftige ist in ihm, quält ihn mit Durchfall, Schüttelfrost und bösem Fieber, wir erwägen einen Exorzismus. Zuletzt verfärbte er sich schwefelgelb – ein Zeichen des Satans. Und nun«, Ezechiels Stimme wurde ein kaum hörbares Flüstern, »und nun sind auch einige der Brüder erkrankt.« Hastig schlug er das Kreuzzeichen, legte dann die Hand auf ihren Schenkel. »Haltet Euch von den anderen fern, kommt lieber zu mir, wenn Ihr etwas benötigt.«
Roswitha sprang auf und versprach, seine Worte zu beherzigen. Jetzt wolle sie beten, auch für die Gesundheit seiner Mitbrüder.
Nach ein paar Schritten in Richtung der Kirche sah sie sich um – er war verschwunden. Sofort änderte sie ihren Weg. Nichts als fort von hier, dieses Kloster war nicht vom Herrn gesegnet, Sünde, Bosheit und Krankheit herrschten hier.
Sie habe noch etwas zu erledigen, warf Roswitha dem Pförtner zu, der nicht von seinem Rosenkranz aufsah und nur die Hand hob, als sie sich durch die Pforte drückte.
Draußen atmete sie tief durch, nur langsam löste sich die Anspannung. Ein Stück hinter der nächsten Biegung wartete ihr Pferd, das sie auf einer kleinen Lichtung angebunden hatte. Von dort hatte sie einen guten Blick auf die Straße, konnte aber selber nicht gesehen werden.
Kaum angelangt, kamen ihr die ersten Zweifel. Warum war Ethlind nicht hier, Zeit hätte sie doch wohl genug gehabt; dieganze Nacht, die sie selbst mit Bernhard im Wald verbracht hatte, hätte sie nutzen können. Entweder war ihr etwas zugestoßen, oder – auch Ethlind hatte den Drachensamen nicht, hatte nichts, womit sie den Fremden auslösen konnte. Indes, wenn auch Ethlind ihn nicht hatte, wer dann?
15. Kapitel
Repgow, Juni 1223
I hr werdet sicher noch einige Tage bei uns bleiben, bis der
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