Die Sieben unterirdischen Könige
Durcheinander. Es war die Zeit, da König Mentacho, seine Angehörigen
und sein Hof schlafen gehen sollten, aber das Wasser hatte sich in die
Tiefe des Felsens zurückgezogen. Es hatte den Anschein, daß es nie mehr
wiederkommen würde. Die Kinder Mentachos hingen an den Schößen des
Vaters und weinten:
„Papa, Papa, wir wollen schlafen!”
„Dann schlaft doch!” sagte der Vater mürrisch. „Das Wasser ist ja nicht
da…”
„Schlaft ohne Wasser!” „Wir können nicht …”
Ja, das konnten sie wirklich nicht, genauso wie ihre Eltern, die Hofleute und
das Gesinde. Sie konnten nicht einschlafen wie andere Menschen, denn seit
Jahrhunderten hatten sie nur den Zauberschlaf gekannt. Von Schlaflosigkeit
geplagt, gingen die Leute in Scharen hinter dem Hüter der Zeit, Rushero,
und seinen Gehilfen einher und flehten sie an, irgend etwas zu tun. Diese
aber wehrten die Leute ab, denn es war gerade die Zeit, da man den eben
erwachten König Eljan unterrichten mußte. Keine Stunde durfte versäumt
werden, denn es war schon vorgekommen, daß die Erwachten, mit denen
man sich in den ersten Tagen zu wenig abgegeben hatte, komplette Idioten
blieben…
„Sind das Zeiten!” seufzte Rushero, während er den König Eljan die Worte
Papa und Mama sprechen lehrte. Schließlich siegte doch die Natur. Nach
vier schlaflosen Tagen und Nächten überkam den König Mentacho, seine
Angehörigen und Höflinge allmählich der Schlaf. Da es aber in den
Gemächern des Palastes keine Betten gab - man pflegte ja die Leute, die das
Schlafwasser bekamen, in besondere Kammern zu legen -, überraschte sie
der Schlaf dort, wo sie sich gerade befanden, und dabei nahmen sie die
wunderlichsten Stellungen ein. Der eine schnarchte, auf einem Stuhl
sitzend, mit hängendem Kopf, ein anderer stand, an die Wand gelehnt, ein
dritter wieder lag zusammengerollt vor der Schwelle. Der grüne Teil des
Palastes glich einem verzauberten Märchenreich. Als man das Rushero
meldete, ging er selbst, sich das komische Schauspiel anzusehen.
„Jetzt werden sie mich in Ruhe lassen!” schmunzelte der Hüter der Zeit.
„Sie werden nun schlafen wie alle anderen Menschen. Nur befürchte ich …”
Was er bef ürchtete, sprach der weise Rushero nicht zu Ende, denn er mußte
zum Unterricht mit König Arbusto eilen. Die Könige Mentacho und Arbusto
trafen sich, als Mentacho ausgeschlafen hatte und Arbusto gerade seinen
Lehrgang beendete. Die beiden lebten nun schon fast 300 Jahre auf der
Welt, waren aber nie zusammengekommen, denn jedesmal, wenn der eine
einschlief, hatte der andere noch den Verstand eines Säuglings. Jetzt waren
sie im Thronsaal in Anwesenheit zahlreicher Höflinge einander begegnet
und beäugten sich neugierig.
„Guten Tag, Eure Majestät!” sprach Mentacho, der um etwa 30 Jahre jünger
war.
„Guten Tag, Eure Majestät”, murmelte Arbusto mit zahnlosem Mund. „Es
freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Wir sind immerhin Verwandte,
wenn auch nicht sehr nahe. Mir scheint, Ihr Großväterchen war ein Cousin
vom Onkel meiner Mutter?”
„Nein, meine Großmutter war ein Enkel Eures Vaters. Aber wozu sollen wir
uns darüber den Kopf zerbrechen?”
„Sehr recht”, sagte Arbusto. „Dann wollen wir uns einfach Brüder nennen.
Ihr seid ja wie ich ein Nachfahr des ruhmreichen Bofaro! Einverstanden,
Bruder Mentacho?” „Einverstanden, Bruder Arbusto!”
Die Könige reichten sich unter dem Beifall der Anwesenden die Hände.
Aus diesem Anlaß wurde im Palast ein fröhliches Fest gegeben, an dem
der Hof staat beider Könige teilnahm. Auch der Hüter der Zeit, Rushero,
war dabei. Wie allen anderen reichte man ihm Becher mit Wein, aber der
Alte schob sie beiseite und streichelte mürrisch seinen Bart …
DIE LAGE WIRD KOMPLIZIERT
Erst nach Monaten erfuhr man, warum der weise Rushero so besorgt war.
Die Könige und ihre Höflinge erwachten einer nach dem anderen, und nach
und nach kam Leben in die früher leeren und stummen Abteilungen des
Regenbogenpalastes. Das Zauberwasser aber war verschwunden, und es gab
kein Mittel, die Könige, deren Regierungszeit um war, einzuschläfern.
Ruf Bilan, der die jahrhundertealte Ordnung im unterirdischen Lande
gestört hatte, war jetzt Diener beim König Mentacho. Er hielt sich sehr
bescheiden, versah eifrig seinen Dienst und bemühte sich, dem König und
seinen Würdenträgern nicht unter die Augen zu kommen.
,Es würde mir schlimm ergehen`, dachte Bilan, ,wenn sie sich
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